Eisen und Magie: Nordwind. Die neuste Folge

Sonntags heißt es wieder: Eisen und Magie. Aus der Fantasy-Reihe findet Ihr heute das neuste Kapitel aus "Eisen und Magie: Nordwind"!

Nach unserem Besuch bei den letzten Elfen der Wüste und ihrem Ende, begegnen wir heute einem alten Bekannten. Opappa, der Händler, der einst hoffte, sich auf sein Altenteil zurückziehen zu können, verfolgt weiter seine tote Ehefrau. Und erlebt dabei einige seltsame Begegnungen...

Viel Spaß mit Eisen und Magie: Nordwind!






Eisen und Magie:

Nordwind


von Peter H. Brendt


«Guten Morgen, Herr Bürgermeister», begrüßte Opappa den ersten Besucher des Tages. Der Angesprochene gab keine Antwort, sondern ging einfach weiter. Nicht, dass der Händler mit einer Reaktion rechnete. Vermutlich besaß der arme Kerl nur noch Reste eines Kehlkopfs. Andererseits fand er auch ohne Augen den Weg nach Norden zu einem unbekannten Ziel. Genau wie die übrigen Untoten, die ihn begleiteten.

Opapa begegnete ihm jeden Morgen wie ein guter Geist. Er erkannte ihn an der goldenen Bürgermeisterkette und dem schwarzen Filzhut, der ihm im Grab am Kopf festgewachsen war. Der Wagen mit der treuen Esah legte ein strammes Tempo vor und befand sich am Abend weit vor den herumziehenden Wiedergängern, die langsam nordwärts schlurften. Aber bei Sonnenuntergang rasteten Maultier und Mensch. Die Nacht nutzten die Untoten, die offenbar keinen Schlaf brauchten, um den Vorsprung aufzuholen. Daher kamen jeden Morgen die gleichen Reisenden auf dem Weg zusammen.

»Ah, da sind ja auch Mi, Ma und Mo!« Drei weitere Bekannte passierten den Wagen. Die Namen hatte Opappa sich ausgedacht. Es handelte sich um drei Krieger, die in identischer Uniform, jeder mit einer rostigen Hellebarde bewaffnet an ihm grußlos vorbeimarschierten. Obwohl der unterschiedliche Grad der Verwesung ihre Bewegungen behinderte, schafften sie es doch irgendwie, so etwas wie einen militärischen Gleichschritt zu entwickeln. Ja, Mo, der am meisten von dem Trio unter den Folgen der Fäulnis litt, legte hin und wieder einen Zwischenschritt ein, um wieder im gleichen Schritt wie seine Begleiter zu wandern.

Der Händler begrüßte Esah mit ein paar freundlichen Worten. Das Zugtier zeigte mittlerweile nur geringe Scheu vor den wandernden Leichen, solange sie einen Mindestabstand einhielten. Sonst keilte das Tier aus und biss um sich. Irgendwo in ihrem dumpfen Verstand erkannten die Wiedergänger, dass es besser war, Abstand zu halten. So entstand im Laufe der letzten Tage ein konfliktfreies Nebeneinander. Auf der einen Seite eine stetig wachsende Zahl mehr oder weniger vollständiger Kadaver, die nordwärts schlurften, wankten und gelegentlich auch krochen. Daneben das ungleiche Paar mit dem alten Händlerkarren, die dem Strom folgten, ohne das Ziel zu kennen.

Opappa besaß keine Hoffnung, seine Ehefrau einzuholen. Sie hatte vermutlich als einer der Ersten das Grab verlassen. Deshalb lag sie uneinholbar vorne. Hin und wieder fühlte der Händler die Versuchung, das Maultier ein strengeres Tempo vorlegen zu lassen, um sie mit etwas Glück doch zu finden. Aber Esah zog den Wagen seit mehreren Tagen ohne große Pause. Das Risiko, das treue Tier zu sehr zu fordern, hielt er für zu hoch. Ein lahmendes Zugtier verringerte die Chancen, das unbekannte Ziel der Untoten zu erreichen.

Wenn er sie fand, plante der Händler, sie einfach aus der Meute herauszuholen, auf den Wagen zu binden und zurück in ihre Grabstätte zu bringen. Dort gehörten Tote hin und nicht auf staubigen Landstraßen, durch dunkle Wälder tappend und schlurfend.

Bevor er aufbrach, untersuchte er den Karren auf Schäden. Ein besonderes Augenmerk legte er auf seine Vorräte. Wie immer führte er jedes Mal bei seinen Besuchen auf dem abseits gelegenen Friedhof Nahrung und Futter für einige Tage mit. Niemand wusste, was einem in diesen unruhigen Zeiten passieren konnte. Für alle Fälle lagen auch ein paar kleine Kisten mit Waren auf der Ladefläche. Ein guter Händler bereitete sich immer auf ein unverhofftes Geschäfte vor.

Doch langsam leerten sich die Säcke und Kästen mit Maultierfutter, Trockenfleisch und getrockneten Beeren. Opapa wusste nicht, wie lange er den wandernden Leichen folgten musste, bevor er seine Ehefrau wiederfand. Er war gut beraten, vorher die Vorräte auf dem Karren aufzufüllen.

Allerdings hatte ihn der Weg nordwärts weit von der Zivilisation fortgeführt. Nach seinem Wissen lag vor ihm lediglich eine alte Wehrburg, nicht mehr als ein befestigter Turm, besetzt mit einer Handvoll Soldaten. Danach kamen nur noch einsame Wälder, Tundra und verstreute Dörfer der wilden Clans, die in dieser Wildnis lebten. Möglich, bei ihnen Nahrung und Futter einzutauschen, doch er hielt es für eine bessere Idee, vorher bei der Burg anzuhalten. Dort erhielt er bestimmt auch Informationen, was für Hindernisse oder Begebenheiten vor ihm lagen.

Opapa spannte das Maultier an, begrüßte dabei einige faulende Bekannte, die as Gespann wie bisher nicht beachteten. Dann nahm er auf dem Wagen Platz und lenkte ihn auf einen kleinen Pfad, der von der Straße wegführte. Wenn ihn sein Gedächtnis nicht täuschte, sollte er auf ihm die Wehrburg erreichen.

Der Platz auf dem Weg reichte kaum für den Karren aus. Rechts und Links standen die Bäume immer enger aneinander. Manche Äste ragten über dem Pfad so tief, dass Opapa sich bisweilen flach auf den Kutschbock legen musste, um weiterzufahren. Der Händler fluchte, hoffentlich musste er den Wagen nicht zurücklassen, um sein Ziel zu erreichen.

Bei einer der Gelegenheiten blieb ihm der Fluch im Hals stecken. Zweimal polterte es auf der Ladefläche hinter ihm. Opappa betrieb sein Geschäft lang genug und wusste, was geschehen war. Es war nicht das erstemal, dass Räuber von einem überhängenden Ast auf den Wagen sprangen.

Schnell griff er unter den Sitz. Dort bewahrte der Händler vor neugierigen Augen zwei kleine Armbrüste auf. Stets gespannt, mit einem Bolzen bewehrt und so klein, dass er jede mit einer Hand fassen und abschießen konnte. Eine ideale Waffe für die kurze Entfernung. Wie er aus eigener Erfahrung wusste, in der Lage, eine Rüstung auf diese Distanz zu durchschlagen und den Träger zu töten.

Als er erkannte, wer auf seinem Karren kauerte, zögerte er. Mit zwei jungen, unterernährten Mädchen, die ihn mit großen Augen anschauten, hatte er nicht gerechnet. Aber Furcht und Schrecken gewannen die Oberhand. Im Reflex zogen die Zeigefinger die Abzüge der Armbrüste durch. Die beiden Stahlbolzen rasten auf die Unbekannten zu.

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