Der Nordwind weht uns in Kapitel -3- !

Heute ist es wieder soweit. Ein neues Kapitel aus "Eisen und Magie: Nordwind" steht bereit. Ein neuer Akteur betritt die Bühne. Nicht unbedingt der Typ Held, den man erwartet. Aber wir haben alle schon erlebt, dass jeder über sich herauswachsen kann!

Viel Spaß mit "Eisen und Magie: Nordwind!"

Eisen und Magie.

Nordwind


von Peter H. Brendt 
Oppapa betrachtete mit Interesse das vor ihm hin und her wackelnde Hinterteil. Der Vollmond schien und ließ die Haut wie alte Seide schimmern. Es erinnerte ihn an die ausladenden Formen von Tuttah, der geliebten Ehefrau. In einem Winkel des Verstandes weckte dieser Vergleich eine Stimme, die ihn einen Narren nannte. Das schwingende Körperteil gehörte Esah, dem geduldigen Maultier, das kraftvoll den Karren zog. Und seine Frau ruhte seit mehreren Wochen im familieneigenen Mausoleum auf dem Gelände des Ghogle-Tempels.

Er schob die Bedenken über den eigenen Geisteszustand beiseite. Immerhin war die Ähnlichkeit verblüffend, zumal Esah bereits in ihrer Jugend den Schwanz bei einem Unfall verlor. Außerdem führte ihn die Fahrt zum Grab der Ehefrau, einen kleinen Ausflug, den er zwei- bis dreimal in der Woche unternahm. Denn Oppapa vermisste Tuttahs Nähe und Liebe jeden Tag und tröstete sich mit langen Zwiegesprächen an ihrem Sarkophag.

So berichtete er bei früheren Besuchen, ohne auf eine Antwort zu hoffen, vom Verkauf des gut gehenden Weinladens nach ihrem Tod. Der Alltag und der Handel brachten ihm nur noch selten Freude. Immerhin 35 Jahre einer größtenteils glücklichen, wenn auch kinderlosen Ehe prägten und formten die Art, mit der ein Mensch das Leben anging. Ihr Tod kam ihm wie eine Amputation eines wichtigen Glieds vor.

Das Maultier blieb unvermittelt stehen. Es riss die Augen auf und und legte die Ohren nach hinten. Oppapa schnalzte mit der Zunge und stieß das eben noch bewunderte Hinterteil mit dem Stiel einer dünnen Peitsche an. Doch Esah stemmte alle Hufe in den Boden und verweigerte den Gehorsam.

Ein kalter Lufthauch kam aus dem kleinen Waldstück, in dem der Friedhof angelegt war. Keine Überraschung für die Jahreszeit, aber die Unruhe des Maultiers übertrug sich auf den ehemaligen Weinhändler. In der letzten Zeit gab es Gerüchte, dass es auf dem abgelegenen Gelände nicht mit rechten Dingen zuging. Man erzählte von seltsamen Lichtern in der Nacht und geheimnisvollen Fremden, die plötzlich auftauchten und dann spurlos verschwanden.

Für Oppapa bildeten die Geschichten keinen Grund, das Grab der Ehefrau regelmäßig zu besuchen. Doch heute stellten sich die Rückenhaare auf und er überlegte, ob er klugerweise den Rückweg in die Stadt antrat. Zumal auch das Maultier seine Bedenken zu teilen schien.

»Narr«, schimpfte er. Wer wusste schon genau, welche Launen Esah gerade quälten. Das alte Mädchen entwickelte in der letzten Zeit seltsame Marotten. Er durfte ihr nicht einfach ihren Willen lassen, sonst tanzte ihm das Tier bald auf der Nase herum.

«Ich habe beschlossen, mir die Welt anzusehen», brummte er. «Um zu sehen, wo der ganze Wein herkommt, den ich mein Leben lang verkaufte. Und jetzt mache ich mir bei ein wenig kühlem Wind bereits in die Hose!»

Ächzend stieg vom Karren, ging nach vorne und packte den Riemen am Kopf des Zugtiers. «Komm mit. Wir müssen Tuttah besuchen. Und davon halten uns keine Vorboten eines kalten Winters ab.»

Oppapa zog und wartete geduldig, bis Esah dem Zug folgte. Seine Kräfte hätten nie gereicht, das Maultier und den Wagen vorwärtszuziehen. Für ein paar Sekunden kämpfte die Willenskraft des Mannes mit der Angst des Tieres, dann gelang es dem Händler, es vorwärts zu ziehen.

Er beschloss, nicht wieder auf den Karren zu steigen, denn die Unruhe der armen Esah wuchs mit jedem Schritt, mit dem sie der Grabanlage näherkamen. Am Ende, es waren nur noch wenige Meter bis zum Tor, dass dem Eingang zum Friedhof markierte, verweigerte das Maultier den Gehorsam.

Es zitterte, rollte die Augen und weigerte sich, auch nur einen hufbreit weiterzugehen. Oppapa beschloss, das verängstigte Tier nicht zu quälen. «Heute lass ich dir das durchgehen. Aber verstehe bitte, dass ich Tuttah besuchen muss. Ich habe das Haus verkauft und werde die Stadt verlassen, um zu reisen. Die Orte kennenzulernen, die ich auf den Etiketten von Weinflaschen lese.»

Esah seufzte entspannt, als sein Herr den Kopf des Maultiers freiließ. Der Händler kletterte kurz auf den Wagen und zog die Bremse an. Dann nahm er einen bunten Strauß Blumen von der Ladefläche, verabschiedete sich von dem Zugtier und ging zum Eingangstor.

Bevor er über die Schwelle trat, schaute er zum Karren zurück und bemerkte, dass er lieber an ihrer Stelle vor dem Friedhof geblieben wäre. Der kalte Wind frischte auf und brachte den Geruch von toten Pflanzen und Verwesung.

Von rechts kam ein nicht nachlassendes Klopfen. Holz gegen Stein. Dort lag das eindrucksvolle Mausoleum der Adelsfamilie Oppenrath, die lange den Bürgermeister stellte. Nach dem Niedergang des Tempels verlegten sie die neue Grabanlage näher an die Stadtmauer. Doch ein großer Teil der verstorbenen Familienmitglieder lag hier begraben, wenn auch seltener besucht, als zuvor auf dem alten Friedhof. Der letzte Sturm hatte einen der Friedhofsbäume aus dem Boden gerissen und die mächtige Krone blockierte den Eingang. Oppapa hatte der Familie davon berichtet, aber bisher hatte sich niemand darum gekümmert. Ihn wunderte, dass ausgerechnet in dieser Nacht einer versuchte, den Baum wegzuziehen.

Neugierig schlich er an das Mausoleum, blieb dann erschrocken stehen, als er feststellte, dass jemand das schwere Tor pausenlos gegen den Stamm stieß. Allerdings machte er das von innen. Der Knall des Zusammenpralls hallte über den Friedhof und die Mauern warfen das Echos zurück. Der Händler beglückwünschte sich zu seinem Entschluss, das Maultier draußen zu lassen. Spätestens bei diesem Lärm hätte Esah nichts aufgehalten.

Oppapa überlegte, ob der umstürzende Baum einen zufälligen Besucher eingeschlossen haben könnte. Doch der Stamm blockierte bereits etliche Wochen das Tor. Ein Sterblicher wäre in der Zwischenzeit längst verdurstet oder verhungert. Ihm wurden die Knie weich, als er sich vorstellte, wovon der Betreffende sich in dem Grab hätte ernähren müssen.

Der Eingeschlossene knallte die Steintür ununterbrochen gegen das Hindernis. So viel Kraft fehlte einem normalen Menschen. Der Händler hörte das Herz bis zum Hals klopfen. Was mochte in der alten Grabstätte vorgehen?

Er beruhigte sich mit dem Gedanken, das, was immer auch darum kämpfte, sein Gefängnis verlassen zu können, es nicht schaffte, das Sperre zu beseitigen. Kein Sterblicher war in der Lage, die schwere Tür und den Baumstamm gleichzeitig zu bewegen.

Vorsichtig schlich er weiter. Zei, das Grab Tuttahs zu besuchen, bevor es hier noch ungemütlicher wurde. Ein Friedhof besaß eine eigene Atmosphäre. Gerade in einer Nacht. Hier, wo er wusste, dass die geliebte Ehefrau ihre Ruhe fand, übertrug sich sonst diese Stimmung bei früheren Aufenthalten auch auf ihn. Heute jedoch packte in eine Unruhe, die er nicht erklären konnte.

Er beschloss, keine Zeit zu verschwenden. Bis zur Ruhestätte seiner Frau waren es nur einige Schritte. Gerne hätte der Händler sie auf dem neuen Friedhof begraben. Direkt an der Stadtmauer, nur wenige Gehminuten vom Haupttor entfernt. Tuttah wünschte zu Lebzeiten allerdings, im Mausoleum ihrer Familie bestattet zu werden. Und das befand sich leider im alten Tempel.

Oppapa konnte ihr diesen Wunsch kaum abschlagen. Nach dem Verkauf des gut gehenden Weinhandels besaß er nun genug Zeit, auch vor die Stadt zu fahren. Heute jedoch sollte es für einige Tage der letzte Besuch sein. Er wollte ihr mitteilen, dass er beschloss, einen befreundeten Winzer aufzusuchen, mit dem er zwar Geschäfte machte, aber nie getroffen hatte.

Fünf Tagesreisen mit einem Lastkahn flussaufwärts. So eine weite Reise hatte er schon lange nicht mehr unternommen. Doch wer wusste, wie viel Jahre ihm blieben, um die Welt zu sehen.

Entschlossen betrat er das Mausoleum von Tuttahs Familie. Ihr Sarkophag lag in einem Seitengang, ausgetretene Stufen führten hinab. Ein wenig rutschig, aber Oppapa kannte sich mittlerweile aus. Ihr Sarg war der dritte auf der linken Seite, in einer Reihe von insgesamt fünf. Doch bereits beim Betreten der Anlage, spürte er, dass irgendetwas verändert war. Erst, als er vor dem Steinsarg der geliebten Ehefrau die Blumen niederlegen wollte, erkannte er den Unterschied zu den früheren Besuchen.

Alle Sarkophage standen offen. Erschrocken wagte er einen Blick ins Innere. Tuttahs Totenschrein war leer. Nicht einmal ihr Lieblingsbuch mit den Gedichten Poehs «Aus dem Rosengarten» fand er darin. Er selbst hatte es dort hineingelegt, bevor der Bestatter den schweren Deckel zuschob. Auch das hatte er ihr am Sterbebett versprochen.

Verzweifelt knetete er den Strauß Blumen in der Hand. «Leichenräuber» lautete der erste Gedanke. Man hatte davon gehört. Die abgeschiedene Lage des Friedhofs lud diese Wesen gerade zu ein. Und seine geliebte Ehefrau befand sich nun in der Gewalt grausamer Ungeheuer. Was würden sie mit ihr anstellen? Mit tränengetrübten Augen wagte er es, auch in die anderen Särge zu schauen. Überall das gleiche Ergebnis. Die Leichen fehlten.

Konnten Ghoule, die bekanntermaßen Toten verzehrten, einen solchen Appetit entwickeln?

Schnell rannte Oppapa nach draußen. Er musste erfahren, ob die anderen Mausoleen ebenfalls offen und ihre Särge ausgeraubt waren.

Wohin er auch schaute, er fand das gleiche Bild. Die Steintüren weit aufgeschoben, doch nirgends ein Hinweis von Gewaltanwendung. Ihm schienen die Kammern von innen geöffnet worden zu sein. Die ersten beiden Gräber betrat er noch und überprüfte den Inhalt jedes Sarkophags. Keine Spur von den Leichen. Er verzichtete darauf, alle Räume zu überprüfen. Es gab zu viele Grabanlagen. Der Händler zweifelte nicht daran, dass die Toten überall fehlten.

Müde und verzweifelt suchte er Halt an einer Steinsäule. Was war hier passiert. Wo konnte er seine geliebte Tuttah wiederfinden?

Plötzlich fühlte er eine Bewegung hinter sich. Der Geruch von Verwesung stieg ihm in die Nase. Fünf unheimliche Gestalten stolperten auf ihn zu. An der Kleidung erkannte er zwei Frauen und drei Männer. Bis auf eine trugen die Unbekannten Leichenkleider, den Letzten schmückte die alte Bürgermeistertracht des Magistrats.

»Herr von Oppenrath«, stammelte Oppapa. Er hatte den Großvater des jetzigen Bürgermeisters noch als Kind gekannt. Der Beamte war vor über vierzig Jahren hier bestattet worden.

Offenbar war das Hindernis vor seinem Familiengrab beseitigt und jetzt machten sich die Insassen auf den gleichen Weg wie die übrigen Leichen auf dem Friedhof. Die Befriedigung, den Grund für die verlassenen Gräber gefunden zu haben, wich schnell einem dumpfen Gefühl in der Magengrube. Denn der Bürgermeister trug in der Rechten das alte Amtsschwert, das damals mit ihm begraben wurde. Und die Spitze der Waffe zielte genau auf ihn.

Im Reflex hob Oppapa den Blumenstrauß als einzige Verteidigung, aber der belebte Leichnam drückte die Blumen wie beiläufig und ohne Kraft beiseite. Der Händler suchte im Gesicht des Bürgermeisters nach einer Gemütsregung, einem Plan oder einer erkennbaren Absicht. Er fand nur leere Augenhöhlen und einzelne Insekten, die sich von totem Fleisch ernährten, und zu Dutzenden aus den Öffnungen des verwesenden Körpers flohen.

Oppapa wich der Waffe ohne Probleme aus, die fünf Leichen beachteten ihn nicht, sondern schlurften wie von einer unbekannten Macht angezogen weiter. Vermutlich auf demselben Weg, den die anderen Bewohner des Friedhofs nahmen. Er schaute den Gestalten hinterher, bis sie das Tempelgelände verließen und er erkennen konnte, welchen Weg sie einschlugen. Die Wiederbelebten zogen nach Norden.

»Gut«, fasste Oppapa die Ereignisse zusammen. Wer immer ihm die geliebte Ehefrau aus dem Grab gestohlen hatte, er führte sie in die gleiche Richtung. Durch den Mhoh-Wald oder weiter in die Sümpfe von Lak. Dahinter lag, soweit er wusste, eine Wüste. Primitive Stämme, angeblich noch mit Waffen aus Feuerstein wohnten dort. Menschfresser. Mit drei Augen und auf einem Bein hüpfend. Sie verständigten sich mit Lauten, die eher dem Geheul eines Wolfes glichen, als der menschlichen Sprache.

»Egal!« Sein alter Geschäftspartner ein paar Tage flussaufwärts (oder war es -abwärts?) konnte warten. Jetzt musste er Tuttah wiederfinden. Auf dem Weg durch den Wald gab es die kleine Hütte eines Händlers. Dort würde er Proviant und Ausrüstung erwerben. Und dann ging es weiter. Auf nach Norden!

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