Das zweite Kapitel ...


... aus "Eisen und Magie: Nordwind" steht seit Heute zur Verfügung. Ein neuer Protagonist stellt sich vor. Allerdings ahnen treue Leser, um wen es sich dabei handelt. Neue Freunde von "Eisen und Magie:" brauchen etwas Geduld, bis das Geheimnis gelüftet wird. Es kommen ja noch ein paar Kapitel. :-)

Viel Spaß mit dem zweiten Teil von "Eisen und Magie: Nordwind"!



Eisen und Magie:

Nordwind


von Peter H. Brendt 
Marwell beschloss, die schwere Axt zu schultern. Das sah seiner Meinung nach sehr imponierend aus. Die meisten Kollegen stemmten ihr Handwerkszeug mit dem Stiel auf den Holzplanken und verschränkten die Oberarme auf den Kopf der Waffe. Scheinbar ungerührt warteten sie in dieser Haltung auf dem kleinen Podest, das extra für ihre Arbeit errichtet wurde, auf den Kunden. Aber es konnte nicht schaden, einen eigenen Stil zu entwickeln. So hoffte er, in Zukunft einen höheren Lohn verlangen zu können.

Heute dauerte es länger als sonst. Die Zuschauer erwarteten ungeduldig den Beginn des Schauspiels. Vermutlich wehrte sich der Kerl, versuchte vergeblich, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Albern!

Unter der Maske beschäftigten den Henker wichtigere Gedanken. Für seine Arbeit erhielt er diesmal eine zusätzliche Prämie. Dafür sollte es schnell und vor allen Dingen reibungslos gehen. Er kannte zwei Möglichkeiten, das unerwartete Geld auszugeben. Es gab ein neues Freudenmädchen in Margas Laden. Angeblich mit milchweißer Haut und riesiger Oberweite. Daghar, einer der Zechkumpanen aus dem «Roten Bullen», erzählte wahre Wunderdinge über ihre Fähigkeiten im Bett. Nicht billig, das Mädchen, aber mit den Münzen, die er sich nachher beim Stadtkämmerer abholte, war Marwell in der Lage, sie zu bezahlen.

Oder sollte er lieber ...

Der Henker wog unschlüssig den Kopf, doch ihm fiel ein, dass die Zuschauer und Wachen die Geste missverstehen könnten und riss sich zusammen. Das musste warten! Bis heute Abend. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Aus der Gasse vorm Gefängnis drangen schwere Schritte. Sie brachten den verurteilten Mörder endlich zum Hinrichtungsplatz. Das Klirren seiner geschmiedeten Ketten übertönte bald das Klingen der genagelten Stiefelsohlen der Gefängniswachen. Der Rhythmus von Bewegung und Geräusch wechselte plötzlich. Sofort läuteten bei Marwell alle Alarmglocken. Er kannte die Vorzeichen von Schwierigkeiten. Der Verbrecher beschloss gerade, den Ort, an dem er getötet werden solte, nicht ohne Gegenwehr zu betreten. Entschlossen stemmte er die Füße in den Boden und versuchte, die Fesseln aus den Händen der Bewaffneten zu reißen. Es gelang ihm sogar, seine Bewacher zu überraschen.

Dabei half ihm eine ungeheure Körperkraft. Die Wachen schafften es kaum, ihn festzuhalten. Sie setzten all ihre Kraft ein, doch ihr Gegner weigerte sich, aufzugeben.

Die Unruhe griff auf die Zuschauer über. Fast die halbe Stadt, wollte die Hinrichtung sehen, sie murrten und schimpften. Ein großer Teil stieß Verwünschungen aus. Der Kerl war verurteilt worden, weil er zwei kleine Mädchen getötet und aufgegessen hatte. Ein deutlich geringer Anteil verfluchte den Stadtkommandanten. Sie vermuteten, dass der Falsche in Ketten lag. Der Kommandant stand unter Druck, denn die Öffentlichkeit verlangte nach dem grausamen Verbrechen eine schnelle Lösung. Wie es zu dem Urteil gekommen war, interessierte den Henker nicht. Er erhielt seinen Lohn, egal wessen Kopf gleich auf dem Holzpodest polterte. Aber er kannte die Gerüchte, dass sie in diesem Fall einfach den Nächstbesten aussuchten. Diesmal Volko, einen Geistesschwachen, bei dem die geistigen Fähigkeiten bereits in jungen Jahren zugunsten der Körperkraft verkümmerten. Ohne eine wirkliche Chance, sich zu verteidigen, machte er es dem Gericht leicht, das Todesurteil auszusprechen.

Vom Podest aus konnte Marwell sehen, dass der Verurteilte seine Wächter um zwei Köpfe überragte und augenscheinlich eine enorme Muskelkraft besaß. So viel, dass Wachen, die eigentlich die Treppe zum Hinrichtungsplatz bewachten, ihren Kameraden zu Hilfe eilten. Drei Gefängniswärter lagen schon auf dem Boden und kämpften gegen eine Ohnmacht. Ihre Stirn verzierten prächtige Beulen, mit Sicherheit plagten sie in den nächsten Tagen Kopfschmerzen. Erst mit Unterstützung der Verstärkung gelang es, den Riesenkerl niederzuringen. Um weitere Gegenwehr auszuschließen, stülpten sie Volko einen alten Sack über den Kopf.

Auf dem Weg zum Podest kühlten sie ihre Wut an dem Gefesselten. Er erhielt ein paar heftige Schläge in den Unterleib, die ihr Opfer mit einem wütenden Knurren beantwortete. Als sie ihn die Treppe hinaufführten, bekam Marwell Gelegenheit, den Kerl genauer zu betrachten. Der Henker bedankte sich in Gedanken beim Magistrat für den Entschluss, den Mann zu enthaupten. Der Verurteilte war so groß und kräftig, dass er zum Hängen auf einen Stuhl hätte klettern müssen, um ihm die Schlinge um den Hals zu legen. Das sah sehr unwürdig aus und minderte den erzieherischen Wert einer öffentlichen Hinrichtung. Die Arbeit mit der Axt machte in diesem Fall mehr Eindruck.

Marwell ging ein paar Schritte zurück, da Volko nach wie vor um sich trat. Wutschnaubend setzte er all seine ungeheuren Körperkräfte ein. Knurrend stemmte er die Beine auf den Boden, wie zwei Säulen hielten sie ihn aufrecht. Die Todesangst weckte die letzten Kraftreserven in dem mächtigen Körper, so dass die Bewacher Mühe hatten, ihn auf die Knie zu zwingen. Der Henker verzichtete darauf, ihn über den Richtbock zu dirigieren. Stattdessen schob er den Holzstamm an eine Stelle, die es den Wachen ermöglichte, den Hals des niedergerungenen Mörders auf das blutgetränkte Holz zu drücken.

Marwell prüfte das Gewicht der Axt und stellte sich in Position. Das Ganze dauerte seiner Meinung nach bereits zu lange. Die Stimmung der Zuschauer drohte zu kippen. Er zielte auf den Halsansatz für den finalen Schlag, als er den Augenwinkeln einen Raben bemerkte, der auf einem der Pfosten landete. Der Lärm und das Durcheinander auf dem Podest schien ihn nicht zu stören. In den Augen des Vogels meinte er, das Funkeln von Intelligenz zu erkennen. Seltsames Tier? Das Viech musste unter heftigem Hunger leiden, wenn jetzt schon eintraf, um rechtzeitig die besten Leckerbissen zu schnappen.

«Halt die Axt zurück, Henker!»

Die Stimme duldete keinen Widerspruch. Marwell senkte die Axt und suchte den Sprecher. Ein Hüne von einem Mann kletterte auf das Podest und fixierte ihn mit einem eiskalten Blick. «Nehmt dem Kerl erst die Maske ab. Ich muss sein Gesicht sehen. Ich denke, er gehört mir!»

«Verpisst Euch», entgegnete der Henker. «Er ist mein Eigentum!»

Mit einem Kopfnicken schickte er die Wachen zu dem Unbekannten. Sollten sie den Mann aufhalten, die Arbeit wartete. Gut, dass Volko allen Widerstand einstellte und schluchzend sein Schicksal akzeptierte. Der Hals lag genau in der richtigen Position für einen sicheren Schlag. Marwell wollte noch warten, bis der Tumult auf dem Podest vorbei war, um die Hinrichtung mit entsprechender Würde zu beenden.

Es wurde höchste Zeit, denn jeden Moment konnte die Menge losstürmen, um den Verurteilten zu befreien. Die Stimmung schien zu kippen. Ein dumpfes Gefühl im Magen warnte den Henker. Die ganze Sache drohte aus dem Ruder zu laufen, aber der Kampflärm auf dem Holzpodest war endlich verstummt. Das Problem mit dem Unbekannten dürfte erledigt sein. Der richtige Moment, die Arbeit zu Ende zu bringen. Schwere Schritte kamen näher, er hob den Kopf. Vor ihm stand der Fremde. Blutspritzer im Gesicht und auf der Lederrüstung. Ein Schwert in der Linken, die rechte Hand in einem unförmigen Handschuh verborgen.

Marwell schaute nach den Wachen. Sie lagen regungslos auf dem Boden in ihrem eigenen Blut. Sollte der Mann sie alleine niedergerungen haben? Bevor er die Axt heben konnte, stieß ein Blitz durch seinen Bauch. Der Henker blickte hinunter und sah die Schwertklinge in der Magengrube stecken. Der Fremde drehte die Klinge in der Wunde herum und zog sie wieder heraus. Mit einem beinahe eleganten Seitenschritt wich der Angreifer dem herausspritzenden Blut aus.

Die Kraft in den Beinen verließ Marwell, jeder Atemzug brauchte alle Willenskraft. Als erfahrener Mörder kannte er die Zeichen, viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Er sank neben dem Verurteilten auf die Knie, die Axt polterte auf den Boden. Mit aufgerissen Augen beobachtete er den Unbekannten, auf dessen Schulter der Rabe Platz nahm.

«Das ist auf keinen Fall unser Mann, mein Freund.» Der Blick wandte sich verächtlich von dem unter dem Sack weinenden Volko ab. «Der würde auch auf dem Richtbock nie eine Träne vergießen!»







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