Magic Places: Cancial

Start eines neuen Experiments:

Reisebeschreibungen von Orten, die einen tiefen Eindruck hinterlassen. Wir starten auf Madeira, in einem kleinen Ort namens Cancial, in einem ehemaligen Büro.




Magic Places:


Im Walfangmuseum auf Madeira


Peter H. Brendt 

Das Auge des sterbenden Wals lässt mich nicht aus seinem Blick. Gelegentlich färbt sein Blut das Wasser um ihn so stark, dass er mich verliert. Für diese Momente bin ich dankbar.

Die Luft riecht nach Meer. Jemand hat die Tür des Museums aufgemacht, um frische Luft hereinzulassen. Ich stehe vor der großen Leinwand und schaue den Walfängern bei ihrer archaischen Jagd nach dem größten Tier auf unserer Welt zu.

Canical ist einer der ältesten Ort auf Madeira. Von hier aus fuhren die Walfänger mit kleinen Booten zur Waljagd auf den Atlantik. 1981 verbot die Regierung die erbarmungslose Jagd auf Wale. Kurz danach entstand rund um die Insel ein Meeresschutzgebiet, dem "Nationalpark Meeressäugetier", das neben den Pottwalen auch Delfinen, Schildkröten und Robben Schutz bietet. Die Fabrik, in der die Tiere geschlachtet wurden, ist längst abgerissen. Das ehemalige Walfängerbüro bauten die Madeirer zu einem Walfangmuseum um. Nichts an dem hochmodernen Gebäude deutet heute an, welchem Zweck es einst diente.

»Estava presente«, eine von zahlreichen Narben überzogene Hand schiebt sich auf das Geländer neben mir. »Ich war dabei!« Ich schaue in das Gesicht eines alten Mannes, in dem Salz, Sonne und Schweiß ihre Spuren hinterließen.

»Então«, frage ich ihn. »Damals?« Mit dem Zeigefinger zeigte ich auf das Blutbad auf der Leinwand.

»Não!« Der Alte schüttelt den Kopf. »Mr. Huston. Moby Dick!«

»Compreendo! Verstehe!« Ich erinnere mich, dass 1956 der Regisseur John Huston den Filmklassiker "Moby Dick" hier drehte. Offenbar gehörte der Fischer zu den Inselbewohnern, die er für die Filmaufnahmen anheuerte. Wie zu Zeiten Ahabs, dem Kapitän der Pequod, fuhren die Fischer damals in Ruderbooten zur Waljagd auf den Atlantik. In ihren kleinen Booten jagten sie die Pottwale mit der gleichen Methode, die Melville in seinem Roman beschreibt. Wer den Film kennt, erinnert sich. In einem vom Blut gefärbtem Meer trieben die Jäger die Tiere zusammen und schlachteten sie mit ihren Harpunen ab. Filmsequenzen, die die Grausamkeit und Brutalität beschreiben, die mit der Waljagd verbunden sind. Der Regisseur nutzte die archaischen Szenen der Harpunenjagd, um dem Zuschauer die Atmospähre auf einem Walfänger fühlen zu lassen. So wie ich es eben noch auf der Leinwand ansehen konnte. Damals sind vermutlich Wale für den Film gestorben. Ich schüttle mich. Gut, dass diese Zeiten vorbei sind.

In dem hellen Museum erinnert heute kaum etwas an die Ströme von Blut bei der Waljagd oder dem Gestank ausgeweideter Meeresriesen. Dennoch kann der Besucher diese vergangene Welt und die großartigen Meeressäuger kennenlernen. Dafür haben die Madeirer keinen Aufwand gescheut.

Das Halbmodel eines jungen Walbullen führt dort jedem die ungeheure Größe der Pottwale vor Augen. Direkt davor stellten die Betreiber eines der Originalboote, mit denen die Walfänger damals hinausfuhren. So kann der Tourist die Dimensionen erahnen, wenn sich Mensch und Tier auf dem Meer begegneten.

In vielen Vitrinen gibt es eine Übersicht weiterer Walfangmodelle, dazu kleine Dioramen, die die Jagd beschreiben. Der Neugierige stößt aber auch auf die Harpunen, die die Madeirer zum Erlegen ihrer Beute benutzten. Selbstverständlich fanden dort zahlreiche Schnitzereien aus Knochen und Zähnen der Wale, die Ergebnisse langer Nachtwachen, ihren Platz.

Wer die Attraktionen bequem vorgestellt haben möchte, dem empfiehlt die Museumsleitung das moderne Audiosystem, das jeder sich für seinen Aufenthalt ausleihen kann. Der Guide erkennt selbstständig, wo sich der Besucher im Museumsbereich aufhält und stellt die entsprechenden Objekte vor. Gibt der Benutzer die Nummer des Exponats ein, erhält er weitere Informationen. Ich ließ mir von meinem Freund »Pedro« die Exponate erklären. Wünschte mir allerdings, mein Portugiesisch wäre etwas besser gewesen, so farbig und eindrucksvoll schilderte er die Vergangenheit.

Nach einigen Gläsern Tinto mit ihm in einer Taverne erhielt ich ein neues Bild von der Waljagd auf Madeira. Jedes Jahr starben Fischer auf der Jagd, erzählte er. Auf der bitterarmen Insel gab es damals nur wenig Möglichkeiten eine Familie zu ernähren. Tourismus war damals ein Fremdwort. Das große Geld bei der Waljagd machten wie immer nicht die hartarbeitenden Männer in den kleinen Booten, sondern andere. Die gefährliche Jagd in kleinen Booten erreichte bei weitem nicht die gleichen Todesraten, wie die modernen Walfängerflotten. Während die kleinen Ruderboote bestenfalls einen schmalen Trampelpfad in die Routen der Walen schufen, rissen die Industriefangboote wahre Schneisen in die Wanderwege der Meeressäuger.

Dort der Tod mit einer Harpune, abgeschossen weit über der Meeresoberfläche vom Bug eines Schiffes aus. Hier die gleiche Waffe aus nächster Nähe Auge in Auge mit dem größten Säugetier auf der Erde. Nur einen Flossenschlag vom Tod entfernt.

Trotzdem befiel mich eine seltsame Traurigkeit. Ich kenne das Gefühl, ein Tier zu töten, weil man es essen will. Seit dem ersten Mal fühle ich mit dem Jäger eines einfachen Stamms, der nach der erfolgreichen Jagd im Stillen dem toten Tier dankt und ihm Respekt zollt. Mein Portugiesisch reicht nicht, um jede Nuance in den Worten des alten Waljägers zu beschreiben. Aber ich hörte die gleiche Achtung aus seiner Stimme heraus, wie sie andere Jäger im Angesicht des Jagderfolgs fühlen. Es sei denn, es handelt sich um verrohte Seelen, bei denen der Akt des Tötens einen nie stillbaren Kick auslöst.

Und wie viel Respekt bringen wir dem Schwein gegenüber, dessen Schinken wir auf unsere Butterbrote legen. Der Kuh, deren Fleisch unsere Suppe verfeinert. Gut, wir töten sie nicht selber. Aber können wir sicher sein, dass ihre Mörder ihnen die verdiente Achtung zeigen? Wohl kaum. Die Effizienz der modernen Fleischindustrie lässt für so was keine Zeit.

Ich beschloss, den Stab über diese Männer, die bei jeder Jagd ihr Leben riskierten, nicht zu brechen. Auch wenn sie eines der intelligentesten Wesen auf dieser Erde töteten. Mir steht es wohl kaum zu.

Was bleibt?

Solltet Ihr Madeira besuchen, schaut in dieses kleine Museum hinein. Es vermittelt einen guten Eindruck über die damalige Zeit. Die Kunstwerke verraten viel über die Männer, die den Wal jagten. Den Film muss sich niemand anschauen. Empfehlen kann ich die simulierte 3-D Fahrt in einem U-Boot, die in die Unterwasserwelt Madeiras einführt. Also bringet etwas Zeit mit! Und freut Euch, dass die grausame Jagd in diesem Teil der Erde vorbei ist. Vielleicht schaut Ihr mal bei Gelegenheit einem Schwein oder einer Kuh in die Augen. Haltet den Augenblick in Gedanken fest und holt ihn hervor, wenn Ihr Fleisch oder Wurst einkauft.

Und grüßt Pedro von mir!

Fotos: Fotolia







Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das nächste Kapitel von "Eisen und Magie: Dämonenhand"

Da ist es doch: Kapitel 12 von "Eisen und Magie: Nordwind"