Thumberg: Wofür ein Henker nützlich ist ...

Ein Mann wie Bismag, Verantwortlich für das Wohl und Wehe von Thumberg hat durchaus gute Argumente für die Funktion eines Henkers. Und aus diesem Grund ist es für ihn wichtig, den alten Zustand so schnell wie möglich wiederherzustellen.

Wir ahnen schon, wer die Aufgabe übernehmen wird ...

Viel Spaß mit dem neusten, kostenlosen Kapitel aus "Thumberg: Der alte Gladiator".

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Wer im Auftrag des Bürgerrats einem Verbrecher den Tod brachte, verkörperte die Autorität des Rats. Und das Töten hatte mit ruhiger Hand zu geschehen.

Eine Hinrichtung demonstrierte den Bürgern der Stadt, wie die Gesetze umgesetzt wurden. Sie musste daher mit einer Selbstverständlichkeit und Sicherheit vollzogen werden, die keinerlei Zweifel an ihrer Integrität aufkommen ließ.

Jedermann, der der öffentlichen Urteilsvollstreckung in Thumberg zuschaute, konnte es sehen. Der Tötungsakt auf dem Markplatz verlangte Kraft und Geschicklichkeit. Der Delinquent kniete und in seinem Rücken wartete der Henker. Er vollstreckte den Willen der Bevölkerung, wie es die Bestimmungen vorschrieben. Sie bestimmten seit der Stadtgründung, dass der schwere Zweihänder sein Ziel von hinten im Nacken traf. In einem einzigem Versuch und mit viel Schwung und Können geschwungen. Ohne jedes Zögern, das die Rechtmäßigkeit des Urteils vielleicht infrage stellte.

Dies war man auch dem Verurteilten schuldig.

In alten Zeiten übergab der Stadtrat das Amt Personen, die gerne töteten und denen man die Freude daran ansah. Gelegentlich Kerlen, deren Geist so stumpfsinnig geworden war, dass sie den Tötungsakt gleichgültig vollstreckten. Als beschlüge man ein Pferd oder repariere einen Karren.

Diese Auswahl bewährte sich nicht.

Der Stadtrat sah das so: Das Todesurteil war Endpunkt einer Kette von rechtlich fundierten Einzelschritten. Die da waren: zunächst die Arretierung des Schuldigen. Es folgte das Gericht. Schließlich das Urteil. Und am Ende die Vollstreckung.

Keine Aufgabe für einen Schlachter oder Dummkopf.

Er hatte es selbst erlebt. Die Art, wie diese Leute töteten, zeigte schnell ihre Einstellung zum Tod. Die Kaltblütigkeit, bzw. der Stumpfsinn, den sie dabei bewiesen, beleidigte das Richterurteil. Der Ausdruck in ihren Augen. Dazu die Art, wie sie den Bihänder hielten, ihn schwangen, und der gierige Blick, mit dem sie dem abgeschlagenen Kopf folgten. All dem fehlte der Respekt und Achtung vor dem Gesetz.

Diese Trottel verstanden es nicht. Es ging nicht um Rache, um das Schauspiel des Tötens. Die Hinrichtung war der Höhepunkt des Bürgerwillens. Eine feierliche Zeremonie, um zu beweisen, dass Recht und Ordnung in sicheren Händen lagen. Keinen, die zitterten.

Daher gehörte der Henker zu den männlichen Einwohnern in der Stadt. Lebte mit ihnen unter ihren Dächern, innerhalb der Stadtmauern. Nahm an ihren Festen und dem allgemeinen Leben teil, wie jeder andere auch. Als stete Mahnung.

(* Shaba, die Hexe versuchte vor einigen Jahren weibliche Scharfrichter durchzusetzen. Es gäbe ausreichend arme Witwen in Thumberg, meinte sie. Die könnten die Bezahlung gut gebrauchen. Ihr Vorhaben scheiterte, da niemand der Kandidatinnen die Kraft besaß, den Zweihänder zu heben.)

In der Zeit, in der keine Hinrichtung stattfand, bestand seine Aufgabe darin, als stummer Beobachter in allen Gerichtsverhandlungen beizusitzen. Ohne jede Gefühlsregung dem Verlauf der Sitzung zu folgen.

Es hatte sich bewährt, ihn bei Vernehmungen von Verdächtiguen und Zeugen mit in das Verhörzimmer zu nehmen. Er saß dann wortlos auf einem Stuhl und verfolgte aufmerksam die Befragung. Den mächtigen Zweihänder quer auf den Knien.

Besonders eindrucksvoll wirkte seine Anwesenheit, wenn er dabei die alten Blutflecke der letzten Vollstreckung auf der Klinge sorgfältig entfernte.

Welchen Eindruck erhielten die Bürger von Thumberg, falls der Henker sich mit zitternden Händen sehen ließ. Gar schlotternd auf den Richtplatz trat. Jeder die Angst in seinen Augen lesen konnte. Womöglich den tödlichen Schlag in ein stümperhaftes Hacken und Stechen verwandelte. Der Kopf des Verurteilten nicht im satten Schwung über den Marktplatz flog, sondern an Haut- und Fleischfetzen hängend mit dem Rumpf zu Boden kollerte.

Welchen Respekt brachten dann die Bürger den gesetzsprechenden Einrichtungen ihrer Stadt entgegen, wenn ihr Vollstrecker unfähig war, ihren Willen standesgemäß und professionell auszuführen.

Kurz: Die Hand des Henkers durfte nicht zittern. Niemals!

Aber die hier bebte so stark, dass ihr beinahe der Becher heißen Honigweins, mit dem Geheimrat Bismag seinen Gast begrüßte, entglitt. Sofort begann er, das Problem anzugehen.

"Ihr zittert. Ihr trinkt doch nicht?" Er brauchte einen Moment, um sich an den Namen des Henkers zu erinnern. "Meister Saphor. Ihr bereitet mir Kummer."

Als wäre dies das Stichwort gewesen, brach es aus dem armen Mann heraus. "Sie haben meine Tochter. Im Kerker ...! Als Mörderin."

Bismag fluchte lautlos. Diese Information hätte ihn erreichen müssen. Der Verantwortliche würde für sein Versagen büßen, beschloss er. Äußerlich ruhig sagte er: "Niemand hat mir davon berichtet. Woher wisst ihr es?"

"Heute Morgen zeigte mir der Kerkermeister seinen neusten Gast. Und er meinte, sie wäre wohl auch mein nächster Kunde. Ein Straßenmädchen, das ihren Freier erstochen haben soll."

"Mir fällt gerade ein, Meister Saphor, ihr habt gar keine Tochter. Euer Lohn ist der eines Ledigen und Kinderlosen." Der Geheimrat erinnerte sich, dass dies ein Grund für die Einstellung des Mannes gewesen war. Günstiger für die Stadt, als die beiden Mitbewerber damals. Jeder ein Ehemann und Vater.

"Niemand weiß es. Sie auch nicht!"

Bismarg schaute zur Wand. Ein zitternder Scharfrichter bereitete ihm Sorgen, doch ein weinender erfüllte ihn mit leichten Anflügen von Panik. "Dann werden wir es keinem sagen. Macht eure Arbeit, die ihr in der Vergangenheit stets zu unserer Zufriedenheit erledigt habt! Sie ist eine Mörderin, sagt ihr. Ich bedaure, jedoch selbst als Tochter des Henkers untersteht sie dem Gesetz."

"Aber sie ist unschuldig!"

Als Bismag in das tränenüberströmte Gesicht schaute, verwandelten sich die Anflüge von Panik in einen kleinen Wintersturm.

Er riss sich zusammen, als es an der Tür zu seinem Amtszimmer klopfte. War es schon so spät geworden. Den Termin mit seinem Untergebenen De Koffel hätte er beinahe vergessen. Andererseits konnte seine Anwesenheit helfen. Der Mann war um eine gute Idee nie verlegen.

***

Master Leym beobachtete mit Erstaunen, wie in den Augen seines besten Freundes plötzlich das Fieber glänzte. Pan Mochtgehrn stand da mit offenem Mund, bis in die Stirn gerissenen Augenbrauen und seltsam erstarrt, als wenn ihm ein Geist begegnet wäre.

Fassungslos zeigte er auf einen Neuankömmling. Einen riesigen Mann, der sich bücken musste, um durch die Tür des "Roten Pony" zu kommen. Arme wie die Oberschenkel eines Kriegers. Sichtlich in die Jahre gekommen. Das Haupthaar schüttert und weiß. Den Rücken leicht gebeugt. Doch in dem Körper wohnte ohne Zweifel eine Kraft, wie er sie noch nie gesehen hatte.

"Was ist", wollte er wissen.

Mochtgehrn zeigte mit ausgestrecktem Finger auf den Hünen. "Dieser ... dieser Mann. Er müsste tot sein!"

***




Kommentare

  1. Es ist eine löbliche Einstellung der Stadt Thumberg, wie sie ihren Henker auswählt.
    Und es ist schön aufgeschlüsselt, warum sie das tut.
    Hier ist ein Punkt besonders deutlich, den ich an den Büchern des Herrn Autor so mag.
    Es wird nicht munter ein Ereignisteppich geboben, der dann - irgendwie - zu Ende gelangt. Hier werden Hintergründe dargelegt, Erklärungen geliefert, es wird recherchiert..
    Man weiss am Ende ganz gewiss, warum der Henker denn zum Henker nicht zittern darf, oder gar tränenreich über den Markt laufen.
    Andererseits kann man den Grund dafür natürlich nachvollziehen.
    Auch, dass der gute Mann seine Tochter für unschuldig hält.
    Bismag, jedenfalls scheint sich der Angelegenheit annehmen zu wollen und so finden wir ihn vor der Tür von de Koffel wieder. Es wird spannend sein, zu erfahren, wa er plant und durchsetzen kann..

    Zu guter Letzt, ein Rückblick auf das Ende des letzten Kapitels, wo Pan Mochtgern seinem Erstaunen Ausdruck verleiht.
    Nun wird es natürlich doppelt spannend sein, wie die Auflösung der Situation von Statten geht..

    Erstaunlich dass ein paar Sätze Handlung neben den ausführngen so eine Spannung aufbauen können.. Nun, ich harre aus und bin gespannt.

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