Das zweite Kapitel zum Vatertag: Der Dieb der sich verzählte

Etwas spät, aber das schöne Wetter wollte ich nicht ungenutzt lassen. So gibt es das zweite Kapitel von "Eisen und Magie: Der Dieb der sich verzählte". Nachdem die Bühne bereitet ist und der schwierig Aufstieg gelungen, kann Khen endlich in den Tempel eindringen. Hier wartet ein wertvoller Schatz auf ihn.

Doch das Ziel seiner Begierde ist mit tödlichen Fallen geschützt...

Viel Spaß mit dem nächsten Kapitel aus "Eisen und Magie: Der Dieb, der sich verzählte"!


Eisen und Magie:

Der Dieb, der sich verzählte


von Peter H. Brendt 


Nachdem Khen den Zugang in das Innere des Tempels freimachte, führte ihn der Gang langsam, aber stetig nach unten. Er beglückwünschte sich dazu, eine gute Menge Fackeln mitgenommen zu haben, denn bald wurde der Lichtschein, der vom Eingang kam, immer schwächer. Schnell reichte es nicht mehr aus und der Dieb entzündete das erste Licht. Sorgsam beobachtete er den Rauch der Flamme, die nur kurze Zeit in Richtung des Tempelportals zog. Sobald der Dieb bemerkte, dass er einem Luftstrom tief in den Berg folgte, wusste er, dass er auf dem richtigen Weg war.

Doch die Erinnerung an die Warnungen auf dem gefundenen Plan kreiste in seinem Kopf. Noch standen ihm drei Hindernisse bevor, schätzte er. Der lebensgefährliche Aufstieg lag hinter ihm. Diese Schwierigkeit konnte er meistern, jedoch warteten weitere Gefahren auf ihn.

Er holte sich die Zeichen auf dem Rand der Karte ins Gedächtnis.

Jemand hatte dort Hinweise auf Fallen oder Bedrohungen hinterlassen. Aber die Botschaften wirkten rätselhaft, sprachen in Bildern, die heute niemand mehr verstand. Lediglich die Zeichenfolge wies daraufhin, dass die Aufzählung nicht zwingend auch Ablauf in einer richtigen Reihenfolge schilderte. Denn der unbekannte Schreiber nutzte für jede Warnung einen der Ränder der Karte.

Vier Kartenränder ergaben die gleiche Anzahl an Symbolen. Davon konnte er ausgehen. Die Zahl schien gering, doch das ließ den Schluss zu, dass bereits eine einzelne Falle sicher den Tod brachte.

Khen hatte Schwierigkeiten, den Inhalt der Schatzkarte zu deuten, da die Sprache in der sie verfasst war, längst im Staub der Geschichte verging. So oft er versuchte, die verblichenen Buchstaben zu übersetzen, um mehr zu erfahren, und sie mit Bemerkungen aus alten Büchern verglich, scheiterte er. Fest stand nur: Es existierten vier Hindernisse, womit die Priester ihr Heiligtum schützten, bevor sie es aus unbekannten Gründen verließen.

Gelang es, sie zu beseitigen, öffnete es den Weg zu einem ungeheuren Schatz, um den ihn die ganze Welt beneidete. Und sein Ruf als Meisterdieb reichte dann weit über alle Grenzen und Zeiten hinaus.

Doch er durfte auf keinen Fall leichtsinnig werden.

Entsprechend vorsichtig tastete sich Khen tiefer in den erloschenen Vulkan hinein. Jeden Moment rechnete er mit Fallgruben, verborgenen Lanzen oder Klingen, die aus der Felswand heraustraten, um ihn zu töten. Aber die unbearbeiteten Wände wiesen nirgends Anzeichen dafür auf, dass dahinter ein tödlicher Mechanismus lauerte.

Die Felsdecke kam so weit hinab, dass der Dieb sie ebenfalls im Fackellicht prüfen konnte. Teile daraus lagen abgebrochen auf dem Boden, vermutlich gab es immer noch als letzte Nachwehen des erkaltenden Feuerbergs leichte Erdbeben. Die Abbruchkanten der herabgefallenen Felsbrocken bewiesen, dass kein Hammer oder Meißel die Decke je berührte. Ihr Sturz besaß natürliche Ursachen.

Fallgruben schloss er nach einiger Überlegung auch aus. Sie wären unter dem Gewicht des herabgestürzten Gesteins längst ausgelöst worden. Doch nirgends tat sich eine Grube oder eine Spalte vor ihm auf.

Dennoch beschloss der Dieb, seinen Weg auf genau diesen am Boden liegenden Teilen der Felsdecken fortzusetzen. Vielleicht kannten die Erbauer andere Möglichkeiten, Fallen zu tarnen. Dinge, die aussahen wie natürlicher Fels, aber einen tödlichen Mechanismus verbargen. Bevor Khen daher von einem Brocken zum nächsten hüpfte, überzeugte er sich jedes Mal davon, dass das Bruchstück von der Decke stammte. Er verlor Zeit, doch er wollte es nicht riskieren, leichtsinnig zu werden.

Hinter einer Krümmung des Ganges bemerkte er in der Ferne ein rötliches Glühen. Je näher er dem Phänomen kam, desto heißer wehte ihm ein sanfter Wind aus dem Inneren des Bergs entgegen. Auch die Helligkeit nahm zu, je mehr er in den Tunnel eindrang. Dort gab es eine Wärmequelle, der Farbe nach vermutlich Lava, das aus dem Stein floss.

Möglich, dass eines der Beben, die die Decke zum Einsturz brachten, einen Kanal voll flüssigen Gesteins öffnete, dass jetzt vor ihm ins Innere des Vulkans strömte. Khen fluchte leise. Der Lavafluss würde der Schwerkraft folgen und auf dem gleichen Weg hinab fließen, der auf der Karte eingezeichnet war und zum Heiligtum führte. Vielleicht nicht über den kompletten Verlauf, aber mit etwas Pech so weit, dass er ein unüberwindliches Hindernis bildete. Stimmten die Befürchtungen, dann war der Zugang zum Tempel versperrt.

Der Dieb erhöhte das Tempo, blieb jedoch vorsichtig. Bald erreichte er eine Biegung, hinter der er die Quelle des Lichts und der Hitze vermutete. Hier sah er, dass die Vermutung, dass Wärme und Lichtscheins von einem steten Strom rotflüssiger Lava stammte, der aus der Steinwand trat, stimmte. Doch seine Befürchtung, dass das heiße Gestein ein Hindernis bildete, bewahrheitete sich nicht.

Denn die Erbauer bewiesen, dass sie den Tempelbau meisterlich beherrschten. Da sie keine Chance gegen die Gewalt des Bergs besaßen, der das Magma aus irgendeinem hinter Fels verborgenem Kanal herausdrückte, mussten sie einen anderen Weg finden.

Der Lavastrom trat in Kopfhöhe an zwei gegenüberliegenden Stellen aus der Wand. Die Herren des Tempels leiteten den glühend heißen Strom in armdicke Rohre aus Granit, die einen Fuß weit in den Stollen hineinragten. Von da aus rann er jeweils in einem zähklumpigen Wasserfall zum Boden. Allerdings nicht unkontrolliert in einem breiten und damit unüberwindbaren Schwall, der den Steinboden wie einen Teich überflutete.

Vielmehr tropfte er in steinerne Leitungen, die wie schmale Kanäle, rechts und links den Gang entlangliefen, aber nach mehreren Schritten in einem Loch im Felsboden verschwanden. Dort floss der heiße Strom zu einem unbekannten Punkt im Inneren des Bergs hinab. So verhinderten sie, dass der zähe Brei aus flüssigem Gestein, den Tunnel ausfüllte und den Weg zum Heiligtum versperrte.

Vorsichtig überquerte Khen die Stelle, rechnete bei jeder Bewegung mit einem Hinterhalt. Seine Augen wanderten wachsam durch den Raum. Stets machte er sich bereit, zur Seite zu springen oder zu Boden zu werfen, falls er irgendeinen tödlichen Mechanismus auslöste.

Bald verließ ihn das rötliche Schimmern, als er die Öffnung passierte, in der die Lava floss. Er warf einen kurzen Blick hinein, aber der Brei aus heißem Fels verschwand tief unter ihm. Aus dem Untergrund drang der Geruch von Schwefel und erhitztem Gestein nach oben und reizte die Nase. Die Haare auf seinem Rücken stellten sich bei dem Gedanken auf, dass er womöglich auf dünnem Stein über einer mit Glut gefüllten Blase wanderte.

Die Wände rückten mit jedem Schritt näher, bis er ein offenes Tor erreichte, kaum breit genug, um ihn durchzulassen. Die glatten Steinpfosten bewiesen, dass hier hunderte von Jahren Pilger und Priester gezwungen waren, sich hindurch zu zwängen und den Felsen mit ihren Gewändern dabei polierten.

Khen musterte den Weg im Fackellicht vor ihm. Das Glühen der fließenden Lava reichte nicht aus, um den weiteren Verlauf des Tunnels zu erkunden. Die Wände schienen bis auf eine schmale Kante in Kopfhöhe auf beiden Seiten unbehauen zu sein. Er nahm diese Furche, die tief in den Berg führte, näher in Augenschein und fand die verblassten Spuren von in den Stein gehauenen Blättern und Zweigen. Hin und wieder erkannte er die dünnen Reste von grüner Farbe entlang der Linie. Wie ein Wegzeichen zeigte ein in den Fels geschlagener steinerner Ast damals den Gläubigern den Weg zum verborgenen Tempel.

Neugierig musterte der Dieb die Rille, die die Erbauer etwa einen Finger dick vor vielen Jahren in die Wand schlugen. Nicht, dass eine unangenehme Überraschung auf ihn wartete. Er kratzte mit der Spitze eines kleinen Messers eine Probe der gelblichen Verfärbung auf ihrem Grund ab und roch vorsichtig daran. Es stank nach Schwefel und Vulkangasen, ähnlich dem Lavabrei, der eben noch hinter ihm in den Boden floss. Ihm kam der Gedanke, dass die Priester dort früher Lava hineinfließen ließen, um den Pilgern den Weg zu weisen. Das rote Glühen wäre kaum zu übersehen gewesen.

Ein plötzlicher Schmerz am Handgelenk riss ihn aus seiner Phantasie. Er stellte sich gerade vor, wie die mit Magma gefüllte Rille, an dessen Ränder scheinbar Blätter und Zweige wuchsen, die Gläubigen mit ihrem Licht ins Heiligtum führte.

Im ersten Moment dachte Khen, dass ihm ein brennender Span der Fackel auf den Arm gefallen sei. Doch dann erkannte er ein insektenartiges Wesen, fast wie eine Ameise, jedoch groß wie ein kleiner Finger, das sich mit schwarzen Klauen in die Haut bohrte. Die hektischen Versuche, den Angreifer abzuschütteln, scheiterten. Zu tief saßen die Greifzangen bereits in seinem Fleisch fest.

Der Dieb wechselte die Hand, die die Fackel hielt und strich, ohne an die Folgen zu denken, mit der Flamme über die Ameise. Der Chitinpanzer des Insekts zischte unter der Hitze und sofort lösten sich die Klauen und das Tier stürzte zu Boden. Dort krümmte es den gepanzerten Körper und erstarrte.

Ein leises Schnarren warnte Khen. Er hob das Licht höher, so dass ihr Schein auf die Wände fiel. Es wimmelte bereits von gleichartigen Kreaturen, die ihre Beißzangen klappernd öffneten und schlossen.

Ohne auf die Brandwunde zu achten, die er bei der Abwehr des Insekts erlitt, rannte der Dieb zurück Richtung Ausgang. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Gegen eine solche Übermacht besaß er nicht den Hauch einer Chance. Zu seinem Erschrecken wuchs die Lautstärke der rasselnden Kiefer hinter ihm. Er wagte es, über die Schulter zu schauen und musste feststellen, dass ihn die Kreaturen verfolgten.

Schnell erreichte er das Tor, durch das er diesen Gang nur wenige Minuten zuvor betreten hatte. Als er sich durch die Enge zwischen den Pfosten quetschte, kam Khen trotz seiner Panik eine Idee. Die Verfolger würden in ihrem Fressrausch nicht haltmachen, sondern ihn bis zum Ausgang hinterherjagen. Ein Wettrennen, das er vermutlich verlor. Denn das Scharren der Füße kam langsam, aber stetig näher. Wenn er die Kreaturen aufhalten wollte, dann hier.

Khen stoppte und warf blitzschnell die brennende Fackel auf die flache Schwelle des Tors. Rasch zündete er an ihren Flammen eine zweite an und legte sie daneben. Da waren seine Verfolger schon heran. Es bildete sich ein kleiner Wall, als die vordersten Angreifer vor dem Feuer haltmachten und die folgende Reihe Insekten versuchte, darüber zu klettern. Doch auch sie fürchteten die Flammenhitze, sie hielten an, worauf die dritte Linie, über ihre Körper stieg. Da die untersten Kreaturen gleichzeitig zurückwichen, brandeten bald, klappernde, schwarze Wellen vor das Flammenhindernis und wieder zurück. Einzelne Ameisen, die von der Masse zu nahe herangedrückt wurden, vergingen mit einem leisen Zischen.

Langsam sprach sich in der vor Klauen wimmelnden Flut Tierleiber herum, dass da vorne der Hitzetod drohte, so dass die lebendige Brandung zur Ruhe kam. Doch die Wesen wussten, dass hinter dem tödlichen Hindernis ihre Beute wartete. Sie erstarrten, so wie sie in ihren Verstecken jahrzehntelang gewartet hatten, bis ein Opfer in ihre Reichweite kam.

Khen kratzte seinen Hinterkopf. «Unentschieden,» beschloss er und untersuchte die Bisswunde. Nichts Ernstes, fand er schnell heraus. Wie der Biss einer großen Ameise. Aber gefährlich, den Gegner zu unterschätzen. Ein einzelnes Tier mochte keine ernsthafte Bedrohung bedeuten, doch die Masse von Tausenden und Tausenden würde jedes lebende Hindernis in Stücke reißen und verzehren.

Hinter den Flammen auf dem Boden befand der Dieb sich in Sicherheit. Vereinzelt versuchten Exemplare vom Hunger getrieben, die glatten Säulen hochzuklettern. Khen wischte sie mit einer der Fackeln herab, ihre Füße fanden kaum Halt auf dem polierten Stein. Doch der Teppich aus hungrigen Kreaturen versperrte ihm den Weg zum Schatz. Der Gedanke, aufzugeben und zurückzukehren, kam ihm gar nicht.

Während der Dieb nachdachte, fiel ihm auf, dass die Angreifer langsam zurückwichen. Sie blieben aber in Reichweite. Das Geräusch der nervös kratzenden Beine und der Zangen bewies, dass sie auf eine Chance warteten. Khen bemerkte, dass seine Gegner bei einer bestimmten Entfernung vom Tor stehenblieben und keine Anstalten machten, sich weiter zurückzuziehen.

Ob sie ihn nicht aus den Augen lassen wollten? Unfug, beschloss er. Diese Tiere lebten in ewiger Dunkelheit. In dem Moment, in dem die Flammen erloschen, begann die Jagd auf ihn erneut. Sie warteten nur auf eine günstige Gelegenheit.

Als er eine der Fackeln austauschte, zog er schnell die Hand zurück. Der Boden dort brannte glühend heiß, da die Fackelglut das Gestein aufheizte. Jetzt kannte er den Grund für das Verhalten der Kreaturen. Feuer und Hitze bildeten der Schlüssel, um sie zu vertreiben. Die Stelle, an der die Angreifer verharrten, zeigte an, wie viel Wärme sie vertrugen.

Hastig zählte er die Fackeln, die ihm geblieben waren. Zu wenige, als dass sie bis zum Zentrum des Tempels reichten. Er musste einen anderen Weg finden, um die Ameisen zu vertreiben.

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