Weiter geht es in der Dunklen Stadt.


Renetats hat den Kampf in der Arena gegen den übermächtigen Champion der Menge überlebt. Jetzt gilt es in den Katakomben zu überleben, denn der Rattenkönig hat seinen Tod beschlossen.

Nead und Hark sind guter Dinge, endlich der Todeskiste und ihrem gefräßigen Inhalt zu entkommen. Dann müssen die Gefährten sich endlich wieder in der Dunklen Stadt finden. Denn noch wartet eine große Aufgabe auf sie.


Viel Spaß mit Kapitel 22 aus "Eisen und Magie: Die Gefährten"!




Nead verlor den Schlüssel noch zweimal. Dreimal gerieten Fraßkäfer in seine Hand-schuhe. Aber Hark hatte genug mit den eigenen Schmerzen zu tun. Die Befreiungsversuche brachten jedes Mal Unruhe in den Haufen der kleinen Ungeheuer. Doch die Hoffnung, diese Kiste und ihre Mitbewohner endgültig zu verlassen, machten die Bisse erträglicher.

Endlich fielen die Fußketten ab. Der Seufzer der zwei Abenteurer kam praktisch gleichzeitig. Jedoch bis dahin stand den beiden Gefährten eine Menge Arbeit bevor. Es fehlten die Handfesseln und dann musste außerdem der schwere Körper des Hünen aus seinem hölzernen Gefängnis gehoben werden.

Fast liebevoll pflückte Nead einzelne Käfer von Harks Gesicht, so dass er leichter reden konnte. „Handketten an der Seite oder vor dem Bauch“, wollte er wissen. „Bauch!“ Der kurze Satz setzte eine kleine Kettenreaktion in Gang, so dass der Hilflose wieder einmal schmerzerfüllt zusammenzuckte. Nur mit viel Selbstbeherrschung gelang es ihm, sich zu entspannen. Aufmerksam beobachtete der Hüne die Versuche, jetzt auch die Ketten an seinen Handgelenken zu lösen.

Sein Befreier zeigte, dass er mittlerweile Erfahrung gesammelt hatte. Diesmal verlor er kein einziges Mal den Schlüssel, selbst als er erneut gebissen wurde. „Noch einmal und ich binde die Handschuhe oben zusammem.“ Verschmitzt schaute er Hark an. „Du siehst, ich lerne dazu!“

Dann versenkte er sanft, fast zärtlich die Hände in den Bereich der Kiste, in der er die Fesseln seines Freundes vermutete. Dabei plapperte er weiter: „Dieser Himmel ist wirk-lich seltsam. Direkt unheimlich. Upss, hat das wehgetan? Entschuldige bitte. Ah, das ist Dein kleiner Finger. Jedenfalls hoffe ich, dass er es ist. Und nicht was Anderes. Nur ein kleiner Scherz. Und da sind auch die übrigen Fingerchen. Und kein Mensch auf den Straßen. Alle schauen bei den Spielen in der Arena zu. Sooo, da haben wir auch die andere Hand. Ein Finger nach dem anderen. Da ist vielleicht was los. Jede Menge Ge-brüll. Muss ein munteres Spektakel sein. Jetzt haben unsere Händchen sich gefunden. Ist das nicht nett. Aber nicht heiraten. Jede Menge Anfeuerungsrufe und Gebrüll. Ver-mutlich ist Renetat auch da.“

Erschrocken hielt er an. Als wenn er erst in diesem Moment begriff, was das für ihren vermissten Gefährten bedeutete. „Mist. Ich sollte mich besser beeilen.“

Entschlossen kletterte er mit seinen Füßen auf den Rand der Kiste, rechts und links von Hark‘s Hüfte. Danach fasste er die Handgelenke des Hünen. „Ich zähle langsam von zehn auf eins. Dann reiße ich Dich mit aller Kraft aus dieser Kiste. Ein paar Bisse werden es noch werden. Doch wenn wir schnell genug sind ...! Also los. Zehn, neun, acht ...!“

Aber der Hüne besaß nicht mehr die Geduld, zu warten.

Mit einem wilden Schrei zog er die Knie an, presste die Fußsohlen gegen den Kisten-boden. Danach nutzte er Nead‘s stützenden Griff und stemmte sich mit einem Ruck nach oben. Wie eine kleine Lawine fielen die Fraßkäfer in Kaskaden von seinem Kör-per. Als der Hüne endlich sicher stand, hüpfte er aus der Holzkiste und schüttelte sich so lange, bis er sämtliche Plagegeister losgeworden war.

Erst dann hatte er Zeit, um nach seinem Befreier zu sehen.

Nead war nach Hark‘s Sprung nach vorne gefallen. Im letzten Moment gelang es ihm, einen Sturz in die Kiste zu verhindern. Jetzt balancierte er mit Hilfe seiner Fußspitzen und Händen auf den Kistenwänden, die Nase kaum zwei Fingerbreit vom Haufen der Käfer entfernt.

Arme und Handgelenke zitterten schnell, seine Kräfte erlahmten in der unbequemen Stellung sehr rasch. Bevor er jedoch hineinfiel, packte der Hüne ihn am Gürtel und hob seinen Befreier hoch. Seine Körperkraft reichte aus, ihn so weit zu heben, dass beide Köpfe sich in gleicher Höhe befanden.

„Egal, was ich jemals über Dich gesagt oder gedacht habe! Danke schön! Das werde ich Dir nie vergessen!“ Nead versuchte, in den Gesichtszügen seines Freundes Spuren von Freundlichkeit zu erkennen. Aber das von Narben und frischen Bissen entstellte Gesicht ließ keine Rückschlüsse zu. Doch er glaubte, so etwas wie Dankbarkeit in der Stimme des Abenteurers zu hören und beschloss, damit zufrieden zu sein.

„In Ordnung“ presste er heraus. „Hättest Du für mich auch getan!“ Statt einer Antwort knurrte Hark und stellte seinen Freund auf die Füße.

„Weißt Du, wo wir Renetat finden?“ Nead untersuchte den vergifteten Wächter. Er nahm dessen Schwert und probierte sogar seinen Helm an. Die Kopfdeckung rutschte ihm tief in die Stirn, dies schien ihn jedoch nicht zu stören. Er feixte und tänzelte aus dem Raum, so sehr freute er sich, dass es ihm gelang, seinen Freund zu befreien. Nie wäre ihm der Gedanke gekommen, einem so starken Krieger das Leben retten zu kön-nen.

Hark hüpfte ein paarmal auf und ab. Nicht auszudenken, wenn irgendwo noch ein Fraßkäfer steckte. Er folgte Nead, aber er genoss jeden seiner Schritte und zertrat auf dem Weg möglichst viele von den Käfern. „Anghis erzählte, dass er ihn in der Arena abschlachten lassen wollte. Wir sollten uns beeilen, Renetat da herauszuholen. Doch erst einmal brauche ich Waffen und Rüstung. Und zwar eine, die mir passt!“

„Kein Problem“, meinte sein Befreier. „Im Vorraum liegen Deine Sachen. Soweit ich feststellen konnte, ist alles vollständig. Und falls ich mich nicht irre, befinden sich in dem Sack daneben, die Klamotten von Renetat.“ Er stutzte. „Seltsam, als ob sie jemand für uns hingelegt hätte.“

„Umso besser!“

Es dauerte nicht lange, und die zwei Abenteurer huschten durch die Stadt. Hark trug seine Rüstung. Den Sack, in dem es bei jeden Schritt klapperte und klirrte, hatte sich Nead auf die Schulter geladen. Er konnte ihn nur schwer tragen, denn mit der zweiten Hand musste er regelmäßig den rutschenden Helm zurechtrücken. Es gelang ihm kaum, das Schritttempo des Hünen zu halten. Aber er wehrte alle Versuche ab, die Last an seinen stärkeren Begleiter abzugeben. Sein Stolz über die erfolgreiche Befreiungs-aktion ließ das nicht zu.

Es war leicht, die Arena zu finden. Offenbar fanden keine weiteren Spiele mehr statt. Unter dem flackernden Firmament eilten die Einwohner zu ihren Wohnungen, Geschäften oder diskutierten in Schenken das Ergebnis der Kämpfe. Die beiden Gefährten brauchten nur in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, und schnell stießen sie auf das Gebäude, dessen Bauart seinen Zweck verriet.

Zusammen suchten sie einen Zugang ins Innere und gelangten rasch an ein von ei-nem Wärter bewachtes Tor. Zu klein, um als Eingang für Zuschauer zu dienen. Als der Bewaffnete ihr Ziel erkannte, stellte er sich in den Weg.

Es dauerte keine zwei Atemzüge, dann musste er der geballten Angriffswucht des Hünen weichen. Während Hark weiter eilte, durchsuchte Nead den Gürtel des Bewusstlosen und steckte fröhlich pfeifend seine Beute ein. Er drehte sich um und sah sich unerwartet alleine in dem Gewirr der Gänge wieder. Der narbengesichtige Begleiter war ohne ihn weitergestürmt.

Fluchend nahm er die Verfolgung auf. Aus den Zellen rechts und links von schlug ihm der Gestank von Blut und Fäulnis entgegen. Er lief an vor Wut und Angst tobenden Tieren vorbei, stieß auf stöhnende Menschen, die auf stinkendem Stroh auf ihr Ende warteten.

Als er einen bewusstlos geschlagenen Wärter fand, wusste er, dass er noch auf der richtigen Spur war. Irgendwo vor ihm durchsuchte Hark die Katakomben nach ihrem Freund. Gewohnheitsmäßig tastete er den Niedergeschlagenen ab und steckte zufrie-den seine Beute ein.

Irgendwann führte ihn sein Weg in die Hölle.

In einem größeren Raum stapelten sich die Leichen der in der Arena niedergemetzel-ten Kämpfer. Der Gestank, der ihm entgegenschlug, bewies, dass nicht alle Tote am heutigen Tag gestorben waren. Mühsam suchte er einen Pfad durch die geronnenen Blutlachen, jeden Augenblick fürchtete er, auf den Leichnam des vermissten Freund zu stoßen. Er seufzte auf, als er ihn nicht fand, und verließ von Grauen geschüttelt die Leichenkammer.

Wo steckte Hark? Und wo Renetat?

Vorsichtig schlich er weiter. Es war ein Wunder, dass er auf seiner Suche noch auf keine Patrouille gestoßen war. Er trug zwar Helm und Waffe einer Wache, aber er machte sich nur wenig Hoffnung als Soldat durchzugehen.

Es war jedoch allein eine Frage der Zeit, bis sein Glück ihn verlies. Nead stolperte über einen niedergeschlagenen Wächter, und während er dessen Taschen durchsuchte, überraschte ihn ein weiterer Bewaffneter.

Die Situation war so eindeutig, dass die Wache kein Wort verlor. Sie hob seinen Kampfstab, an dessen Spitze sich sichelförmige Schneiden befanden, seine Augen nahmen kurz Maß und visierten den Hals des Eindringlings an. Blitzschnell hieb er zu, zu schnell, als dass der Angegriffene reagieren konnte. Glücklicherweise kratzte das scharfe Ende des Stabs in dem engen Raum an der Wand. Diese Verzögerung rettete Nead das Leben.

So schlug der Wärter nur seinen lockeren Helm herunter, der polternd über den Boden rollte. Noch bevor sein Angreifer seine Waffe zurückziehen konnte, ließ Nead seine Sachen fallen und packte den Schaft unterhalb der Klingen mit beiden Händen. Danach klammerte sich der Verzweifelte an den Kampfstab, als wenn er ihn nie mehr loslassen wollte.

Sein unorthodoxer Angriff verwirrte die Wache. Zunächst versuchte er erfolglos, ihn abzuschütteln, doch das Gewicht war zu hoch für den Mann. Anschließend trat er nach seinem Gegner und zielte auf seinen Kopf. Nach einigen Versuchen traf er mit seinem schweren Kampfstiefel die Schläfe, so dass der Hilflose seinen Griff lösen musste. Waffenlos und durch den Tritt halb bewusstlos blieb der Abenteurer in einer Ecke liegen. Er blinzelte und strich das Blut, das von der Platzwunde an der Stirn in die Augen lief, weg. Benommen erwartete er den tödlichen Hieb, der jeden Augenblick treffen würde.

„Dachte ich es mir doch. Während ich mir die Hacken ablaufe, um unseren Freund zu finden, legst Du Dich hier auf ein kleines Nickerchen hin. Dich darf man auch keinen Moment alleine lassen.“ Hark zog gerade die Klinge seines Bihänders aus der getöteten Wache und reinigte die Waffe am Lederkollar seines Gegners.

Fröhlich feixend reichte er Nead die Hand und half ihm auf. „Höchste Zeit“, meinte er. „Renetat habe ich gefunden, aber wir haben da ein Problem.“

***



Kommentare

  1. Ja, ich gebe es zu, es tut gut, den alten Hark wieder in Aktion zu sehen.
    Es scheint sogar, als habe sich das Verhältnis zwischen ihm und Nead tatsächlich deutlich verbessert. Fröhlich feixend hätte man ihn auf dem Friedhof zum Beispiel nicht mit Nead gesehen.

    Überhaupt war die Befreiung wohl Neads grösste und beste Tat. Vermutlich mehr unbewusst hat er sogar das Beste getan, was er hätte machen können: Mit seinen blöden Sprüchen hat er Hark soweit abgelenkt, dass die Prozedur für ihn wohl weniger schlimm war. Wichtige Informationen, zum Beispiel den Trubel in der Arena, mit Scherzen über sich findende Fingerchen - dem Wunsch, dass es tatsächlich ein Fingerchen ist... Das plötzliche Erkennen, dass Renetat sich auch in der Arena aufhält und die folgende Geschäftigkeit, um ihm schnellstmöglich helfen zu können, war für Hark ebenfalls ein Zeichen, dass dem Befreier was an seinem Freund liegt.

    Alles in Allem hat Nead auf diese Art eine gute Bewerbung für eine Freundschaft abgegeben, die scheinbar von Hark wohllwollend in Empfang genommen wurde.

    Nun erscheint einem der Satz ".... aber da haben wir ein Problem" gar nicht mehr so schlimm.
    Obwohl man noch gar nicht weiss, um was es sich handelt.

    Im Wissen, dass Hark befreit ist, Renetat den Kampf sehr gut überstanden hat und Nead zu was nütze ist, fällt mir das Warten auf das nächste Kapitel nicht mehr ganz so schwer.

    Alles wird gut... (Hoff ich)

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