Ein neues Finale bei "Eisen und Magie"!


Wieder einmal wartet das letzte Kapitel eines Kurzromans aus der "Reihe "Eisen und Magie" auf Euch. Die Episode "Das Turnier" geht heute zu Ende.

In ihm findet Ihr die Antworten auf die Fragen, die sich der geneigte Leser gestellt hat. Gelingt es, den Helm zu stehlen? Schafft es Bertram in die Turmkammer einzudringen?

Können unsere Helden "Silberschwan" zurückerhalten? Und nicht zuletzt: Warum hat Sheen das ganze Unternehmen verraten?

Viel Spaß mit dem letzten Kapitel aus "Eisen und Magie: Das Turnier"!

Bald geht es hier weiter mit einem neuen Kurzroman. Held wird ein alter Bekannter aus einer früheren Episode sein. Lasst Euch also überraschen!

Die ersten Kapitel verpasst. Ihr findet sie hier:

Erstes Kapitel: hier
Zweites Kapitel: hier
Drittel Kapitel: hier
Viertes Kapitel: hier
Fünftes Kapitel: hier
Sechstes Kapitel: dort





Eisen und Magie:

Das

Turnier


von Peter H. Brendt


Bertram wagte es nicht, nach unten zu schauen. Er behielt sein Ziel, eine Schießscharte an der Spitze des Bergfrieds im Auge. In alten Zeiten mochte der Turm eine glatte Außenwand besessen haben. Doch heute zeigten tiefe Risse und Kanten die Folgen jahrelanger Verwahrlosung. Sie boten dem jungen Kletterer genügend Halt, wobei ihm die von Sheen konstruierten Handschuhe mit den eingeschlagenen Eisennägeln mehr als einmal halfen.

Nach etwa einem Drittel der zurückgelegten Strecke fand der Knappe einen Rhythmus, mit dem er immer leichter emporkletterte. Er rechnete bereits aus, wie lange er für den Rest des Wegs brauchte. Der Erfolg machte ihn sorglos.

Plötzlich brach eine kleine Steinnase, die eben noch soliden Halt versprach, unter seinem Griff ab. Erschrocken rutschte er gleichzeitig aus einem tiefen Riss, in den er die rechten Zehen schob und ihn bis zu diesem Moment festen Stand gab.

Für einige Atemzüge hing er nur an zwei sicheren Punkten hängend zwischen Himmel und Erde. Verzweifelt mit der Hand rudernd, suchte er eine Möglichkeit, sich an die Turmmauer anzuklammern. Die Kante einer Schießscharte über ihm schien geeignet zu sein. Doch, um sie zu erreichen, musste er das ganze Körpergewicht auf den linken Fuß legen, etwas hochspringen und hoffen, den neuen Fixpunkt zu treffen.

Er überlegte kurz, fand keine Alternative und streckte das Standbein für den kleinen Sprung. Die suchende Hand entdeckte die Öffnung in der Mauer, aber sie rutschte ab. Das Geräusch, mit der die Nägel im Handschuh über den Stein kratzten, würde, so glaubte er, alle Schläfer im Lager unter ihm wecken.

Wie durch ein Wunder erreichten die Eisennägel eine schmale, jedoch breite Ritze im Gemäuer und Bertram konnte für einen Moment verschnaufen. Schnell überprüfte er jeden Griff. Hände und Füße hielten ihn sicher an seinem Platz. Er seufzte tief. Diesmal war es mit viel Glück gut ausgegangen. Er schwor, nie mehr so leichtsinnig zu sein. Immerhin standen ihm noch zwei Drittel des Aufstiegs bevor.

***

Sheen stellte sich neben Wersh, der am Fuß der Mauer wartete. «Konntet Ihr Eure Sachen regeln», wollte der Verwalter wissen.

«Ich bin zufrieden. Und hier?»

«Er ist noch nicht heruntergefallen!»

«Er ist tapferer, als wir dachten!»

«Warten wir ab, ob er den Helm mitbringt!»

***

Bertram stellte fest, dass es die Sache einfacher machte, nicht darüber nachzudenken, wie viel des Wegs noch vor oder hinter ihm lag. Der Aufstieg verlief leichter, wenn er seine Aufmerksamkeit stets auf den folgenden Griff, die nächste Spalte konzentrierte. So gelangte er Armlänge um Armlänge weiter den Bergfried hinauf.

Auch vertraute er immer mehr auf dem Tastsinn. Das im Wolkenspiel wechselnde Licht des Mondes täuschte die Augen. Bisweilen zeigte es eine Bruchkante, wo später nur noch Schatten war. Risse entpuppten sich als silbriger Strang kümmerlicher Flechten, die ihre dünnen Wurzeln an das Gestein klammerten. Die Eisennägel in seinen Handschuhen gaben häufig den entscheidenden Ausschlag zwischen festen Griff und tödlichen Ausrutscher. Die Kraft der schweißnassen Finger reichte nicht aus, ausreichend Halt zu gewinnen.

Bertram fühlte die Tiefe im Rücken wie ein stetig wachsender Sog, der ihn hinab zu reißen drohte. Doch mit jedem erfolgreich zurückgelegten Schritt, jedem Zug, der ihn weiter nach oben brachte, wuchs sein Selbstvertrauen.

Bis ihm unverhofft ein dunkler Gegenstand ins Gesicht flog...

***

«Er hat es fast geschafft. Ich wusste, dass in dem Jungen eine gute Portion Entschlossenheit wohnt.»

«Nicht auszudenken, wenn er scheitert!»

«Die Zukunft der Familie vom Mark ruht auf seinen Schultern. Wir brauchen den Helm!»

«Wie geht es dem Ritter?»

«Ich habe nach ihm gesehen, bevor ich zum Treffen ging. Er liegt weiter bewusstlos im Zelt. Doch der Atem klingt ruhig und fest. Der Körper braucht eine Weile, bis er das Gift losgeworden ist. Den Göttern sei Dank, dass er den Helm beim Sturz vom Pferd verloren hat. Sonst hätte er noch länger unter seinem Einfluss gestanden. Morgen früh ziehen wir ihm die Rüstung aus, dann werden wir feststellen, welche Verletzungen er davongetragen hat.»

«Ist dir schon einmal der Gedanke gekommen, Sheen, dass es unser Glück ist, dass er das alles hier nicht mitbekommt?»

«Wieso?»

«Weyn vom Mark hasst Intrigen!»

«Gut möglich, dass er einen anderen Plan ersonnen hätte. Aber wir haben nur den!»

Trotzdem! Wir lassen den armen Jungen ins Messer... Verdammt, er hat eine Krähe geweckt. So kurz vor dem Ziel!»

***

Der schwarze Vogel flog Bertram ins Gesicht. Der Knappe hatte sich bereits über die kleine Vertiefung im Turmgemäuer gefreut. Zu spät erkannte er, dass dies ein bequemer Platz für eine Krähe war, um dort vor Feinden geschützt, die Nacht zu verbringen.

Vor Schreck verlor der Junge den Halt, in Panik suchte er nach einem neuen Haltegriff für die Finger und rutschte mit den Füßen ab. Plötzlich musste eine Hand das ganze Gewicht tragen. Die eingeschlagenen Eisennägel im Handschuh kratzten über den Stein. Dieses Schaben und der eigene stoßartige Atem waren für kurze Zeit die einzigen Geräusche, die er vernahm, nachdem das Flattern des Vogels in der Nacht verschwand.

Bertram verdrängte den Gedanken, wie sein Körper nach dem Sturz ausgesehen hätte. Er beglückwünschte sich zu dem Glück, noch zu leben. Schnell spreizte er die Finger in dem Krähennest und fand festen Griff. Das gab ihm die Gelegenheit, für die Füße und die andere Hand einen neuen Halt zu finden. Dann atmete er erst einmal kräftig durch. Die Schießscharte, durch die er in das Turmzimmer eindringen wollte, wartete nur wenige Armlänge über ihm. Bald war es geschafft.

***

«Das war knapp!»

«Ein prächtiger Junge!»

«Mein Herz ist beinahe stehengeblieben!»

«Er hat es nicht verdient, dass wir ihn so reinlegen.»

«Stimmt! Aber es war die einzige Möglichkeit.»

***

Die letzten Klimmzüge erschienen Bertram wie ein Kinderspiel. Er erreichte den Rand der Schießscharte und lauschte. Kein Geräusch kam aus dem Raum dahinter, was dem Knappen verdächtig vorkam. Er erwartete, Atemgeräusche zu hören, oder andere Hinweise darauf, das von Braggen in dem Zimmer schlief. Doch es herrschte Totenstille.

Von unten klang das Horn des Kranichs zu ihm hinauf. Viel Zeit blieb ihm nicht, den Topfhelm zu stehlen. Das Morgengrauen lag nur noch drei Hornstöße entfernt. Er brauchte die Nacht, um unbemerkt zurück zu klettern. Entschlossen stieg Bertram in das Turmzimmer.

Der Helm wartete auf ihn auf einem Tisch. In dem Moment, in dem er ihn erblickte, schien kurz der Mond durch die Schießscharte und zeichnete einen silbrigen Schimmer auf den Schwan, der ihn krönte. Der Knappe wertete das als ein Zeichen und griff schnell zu. Er warf noch einen Blick in das leere Zimmer. Von Braggen verbrachte vermutlich die Nacht nach dem Turniersieg an einem anderen Ort, der mehr Unterhaltung versprach. Bertram schob seine Beute rasch in den Sack, den er von dem Novizen erhalten hatte. Dabei hielt er die Luft an, damit ihn kein Hauch der Giftsalbe erreichte.

In dem Augenblick, in dem er durch die Schießscharte hinausklettern wollte, wartete ein neuer Schrecken auf ihn. Der Helm passte nicht durch die Öffnung in der Turmmauer. Mit einem leisen Klingen schlug das Metall gegen den Stein und ließ den Jungen verzweifeln. Er konnte unmöglich über die Treppe den Bergfried verlassen. Unten erwarteten ihn mit Sicherheit von Braggens Wachen.

Noch einmal versuchte Bertram, den Topfhelm hindurchzuschieben. Aber so sehr er ihn auch drehte und verschob, er wollte nicht durch die Schießscharte passen. Das er in dem Sack steckte, erschwerte die Aufgabe. Doch der Knappe zog und drückte, bis er ein leises Knirschen hörte. Jetzt endlich passte er hindurch. Die Freude verwandelte sich von einem Augenblick zum anderen in Erschrecken, als er erkannte, dass er das wertvolle Teil beschädigt hatte. Wenn er den tastenden Fingern glaubte, hatte er den stolzen Schwan abgebrochen.

Bertram unterdrückte die Tränen. Das war seine Schuld! Dafür würde man ihn zur Verantwortung ziehen. Hoffentlich konnte der Schmied es reparieren.

Die Zeit drängte. Wenn er es rechtzeitig schaffen wollte, musste er jetzt aufbrechen. Der Knappe kletterte durch die Öffnung, den Sack auf dem Rücken festgebunden. Er drehte das Gesicht zum Turm, klammerte sich an den Rand der Schießscharte, während die Füße den ersten festen Halt suchten und fanden. Dann stieg er herab.

In dem Moment, in dem er aus dem Sichtbereich der Kammer verschwand, öffnete eine Hand vorsichtig die Tür eines Kleiderschranks. Zwei Männer verließen ihn. Von Braggen und Baron Weienfels betraten den Raum. Der eine warf einen wütenden Blick auf die Schießscharte, der andere zupfte am Ohrläppchen. Um seine Lippen spielte kaum erkennbar ein bewunderndes Lächeln.

«Wir müssen hinterher. Er hat meinen rechtmäßigen Besitz gestohlen.»

Der Herold hielt ihn am Ärmel fest. «Wir haben Zeit. Es wird eine Weile dauern, bis er unten ist. Sollte er vor uns ankommen, dann bedeutet das, dass sein zerschmetterter Körper vor dem Turm auf den Boden liegt. Ich sehe da einen Krug Wein. Lass uns gemeinsam einen Schluck nehmen. Als Toast darauf, dass wir einen Dieb der gerechten Strafe zuführen werden.»

***

Bertram schloss die Augen. Bei seinem erfolgreichen Aufstieg lernte er, dass er in der Dunkelheit völlig auf den Tastsinn vertrauen konnte. Hände und Füße fanden rasch geeignete Haltepunkte, manche begrüßten ihn wie einen alten Freund. Bald fühlte der Knappe sich wie in einem Rausch, es gab nur den Stein und den leichten Wind, der mahnend an dem Sack auf dem Rücken zog. Er empfand beinahe Enttäuschung, als er feststellte, dass er wieder auf dem Erdboden stand.

Wersh und Sheen traten aus der Dunkelheit und erwarteten ihn. Das Lächeln des Jungen gefror, als er die beiden Wachen daneben bemerkte. Die Soldaten trugen lange Speere, ihre Spitzen berührten bald seine Brust und drängten ihn zurück an den Turm.

«Bertram, Knappe des Ritters Weyn vom Mark. Ihr seid ein Dieb! Wir müssen dich in Gewahrsam nehmen!»

***

Baron Weienfels und von Braggen stießen zu der kleinen Gruppe. Wortlos verlangte der Herold nach dem Sack auf Bertrams Rücken, der ihn widerstandslos übergab.

«Darin befindet sich mein rechtmäßig erworbener Besitz. Er gehörte einst Weyn vom Mark, von dem ich ihn durch den Turniersieg erhielt. Der Junge ist ein gemeiner Dieb. Er verdient den Tod am Galgen. Vermutlich hat ihn sein Herr zu dieser Tat angestiftet!» Von Braggen deutete wütend auf den Knappen.

«Der Ritter liegt immer noch in tiefer Bewusstlosigkeit auf seinem Lager», entgegnete Sheen. «Aber nicht eine Niederlage im Turnier ist schuld daran, sondern Gift!»

«Was redest du für einen Unsinn», von Braggen sprühte Speichel. «Du bist ja toll!»

«Es ist wahr!» Der Novize verbeugte sich vor Baron Weienfels. «Edler Herr, Ihr tragt bestimmt ein Tuch dabei. Würdet es Ihr mir leihen? Nur für einen Moment.»

Nachdem der ihm ein Stück Leinen reichte, nahm Sheen den Rucksack und holte den Topfhelm heraus.

«Ihr seht, er trägt die Beute, mein Eigentum noch bei sich», giftete von Braggen. «Er hat ihn beschädigt. Der Baron und ich haben aus unserem Versteck genau gesehen, wie er den Helm eingesteckt hat.»

«Dann war er nach dem Turnier die ganze Zeit in eurem Besitz.»

«Nach meinem Sieg! Alle haben es beobachtet.»

«Und was habt ihr und der Baron genau gesehen», wollte Wersh wissen.

«Er nahm den Helm vom Tisch, steckte ihn in diesen Sack und kletterte durch das gleiche Loch, durch das er in die Kammer gelangte, hinaus.»

Bertram verfolgte das Gespräch mit aufgerissenen Augen. Was war passiert? Woher wussten der Baron und von Braggen von ihrem Plan?

«Ein sehr gefährliches Unterfangen, für das ich ihn bewundere», warf Sheen ein. Er nahm das Tuch des Herolds und wischte damit das Innere des Helms aus. Dann hielt er ihm das Leinen in einigem Abstand vors Gesicht.

«Puh!» Der Baron wich zurück und drückte mit den Fingern die Nase zu. «Ich kenne den Geruch. Der Name ist mir entfallen, aber ein alter Pferdedoktor in der Burg benutzte es, um die Gäule einzuschläfern.»

«Das Innere des Helms war mit dieser Salbe bestrichen. Weyn vom Mark war dem Gift während des Turniers ausgesetzt. Er besaß keine Chance, das Duell zu gewinnen. Der Ritter wurde durch Heimtücke besiegt!»

Von Braggen wich einen Schritt zurück. «Es war ein Kampf, den ich gewonnen habe. Ihr selbst ward Zeuge. Der Topfhelm und die übrigen Teile der Rüstung gehören mir!»

Der Herold nahm den Helm und roch vorsichtig daran. «Die Salbe verfliegt rasch. Aber ich kann sie deutlich riechen. Wenn sie sogar ein Pferd zu Boden wirft, war sie es, die den Ritter niederstreckte, nicht Eure Lanze. Das bedeutet, Ihr, Rod von Braggen, seid daher nicht der Sieger. Ihr besitzt keinen Anspruch auf Silberschwan.»

«Das ist eine Intrige. Ein heimtückischer Trick! Um mir den Turniersieg und mein Eigentum zu stehlen!»

Der Herold schüttelte den Kopf. «Was ist Eurer Meinung nach passiert?»

«Sie haben die Salbe selbst hineingestrichen.»

«Und wie soll das geschehen sein», fragte der Baron. «Der Helm war die ganze Zeit über in Eurem Besitz. Wir beide beobachteten den Knappen, als er in die Kammer kletterte. Da war keine Gelegenheit, den Topfhelm zu präparieren.» Er hob den Kopf zum Gipfel des Bergfrieds hinauf. «Und auch beim Klettern von der Spitze dieses steilen Turms, den in der Vergangenheit niemand bezwang, gab es niemals eine Möglichkeit, ihn aus dem Sack zu holen und das Innere zu bestreichen.» Er warf einen bewundernden Blick auf Bertram. «Der Junge brauchte all seine Geschicklichkeit, um nicht hinab zu stürzen. Da war nie für so was eine Hand frei!»

«Das Tuch ...!»

«Es gehörte mir», warf der Baron ein. «Unterstellt Ihr mir, dass ich an so einer Intrige beteiligt bin?»

«Nein, aber ...!» Rod von Braggens Hand suchte sein Schwert, doch von Weienfels hielt sie fest. »Ihr wagt es, Euch gegen den Herold zu stellen!»

Für einen Moment zögerte der Angesprochene, dann erkannte er, dass er keine andere Möglichkeit besaß, als ohne weiteren Widerspruch in den Turm zurückzukehren. Nach wenigen Schritten drehte er sich um. «Silberschwan wird mir gehören und der Name der Familie vom Mark in den Schatten verschwinden. Wo sie hingehört!»

***

«Meinst du, dass der Junge schon Wein trinken darf?» Sheen, Wersh und Bertram saßen im Zelt zusammen. Im Hintergrund hörten sie den ruhigen Atem des Ritters. Vor den Dreien warteten ein großer Weinkrug und mehrere Holzbecher.

Der Verwalter ergriff einen Becher und füllte ihn mit geübtem Schwung. «Solange an einem Tisch, an dem ich sitze, ein Platz ist, wird der Teufelskerl ihn bekommen. Und sollte keiner frei sein, sorge ich für einen Stuhl.» Er lachte und reichte dem Knappen einen gefüllten Trinkbecher.

Bertram platzte vor Stolz. Noch vor einem Tag wäre er nie auf die Idee gekommen, dass er heute im Kreis dieser Runde säße. Guten Wein zu trinken, wurde ihm bisher verwehrt. Er nahm den Holzbecher an und als die beiden ihm zuprosteten, probierte er ihn. Hustend spuckte er den ersten Schluck aus. Kein Vergleich zu dem verwässerten Stoff, den er als Knappe sonst in der Küche erhielt.

In das Lachen der Männer rief er nicht ohne Wut: «Wer hat mich verraten? Oben warteten von Braggen und der Herold in der Kammer!»

Sheen wurde ernst. «Ich muss dich um Verzeihung bitten. Es ist allein meine Schuld, denn von mir stammt der Plan.» Er stellte seinen Becher ab. «Wir besaßen keinerlei echten Beweis, dass der Helm vergiftet war. Nur ein wenig Dreck aus der Nase des Ritters. Wir brauchten zu diesem Zweck den Topfhelm. Mussten jedoch gleichzeitig sicherstellen, dass er auf keinen Fall vorläufig verschwand oder gereinigt wurde. Der Täter durfte von dem Verdacht nichts wissen.

Doch wie sollten wir ihn beschaffen? Rod von Braggen wusste von dem Anschlag. Vermutlich ist er dafür verantwortlich. Er hätte ihn uns niemals gegeben. Und ohne einen schlüssigen Beweis war es unmöglich, ihn für eine Untersuchung zu fordern.»

«Aber der Herold ...!»

«Ein kluger Mann. Darüber gibt es keinen Zweifel. Seine Aufgabe besteht darin, auf die Gesetze des Turniers zu achten. Er ist rechtschaffen und gerecht. Deshalb hat er dieses Amt erhalten. Doch er ist gleichzeitig Gefangener der gleichen Regeln. Wer sie überwacht, darf niemals gegen sie verstoßen. Ohne einen wirklichen Beweis durfte er den Helm nicht fordern.»

Er legte eine Hand auf Bertrams Schulter. «Er hätte, statt zu verlangen, darum bitten können. Wir wissen jedoch alle drei, dass von Braggen sich weigern würde. Gewiss, eine Verweigerung der Forderung wäre ein Hinweis auf seine Schuld, warum sollte er sie sonst verweigern. Er brauchte allerdings nur zu warten oder Zeit zu schinden, bis die Salbe in der Luft verflogen ist. Nach dem Recht gehörte die Siegprämie ihm. Sein Eigentum, bis bewiesen ist, dass er sie unrechtmäßig erhielt.

Deshalb habe ich dich geschickt. Und du hast eine große Tat verbracht. Da dein Diebstahl unter den Augen des Herolds geschah, konnte er sehen, dass niemand von uns den Helm mit der Giftsalbe präparierte. Aus diesem Grund verriet ich ihm, dass du in die Kammer klettern wolltest. Am Fuß des Bergfrieds warteten wir mit den Soldaten, die bezeugen können, dass kein Austausch stattgefunden hat.

Daher kann es nur einen Schluss geben: Der Topfhelm ist bereits beim Turnier vergiftet gewesen!»

«Und warum habt ihr mich im Unklaren gelassen?»

«Das war nicht nett. Zugegeben. Aber du bist ein Junge. Wir wollten sichergehen, dass niemand Verdacht schöpft. Du musstest deine Rolle überzeugend spielen, deshalb haben wir uns entschlossen, dich im Ungewissen zu lassen. Ich bitte daher aufrichtig um Entschuldigung.

Bertram nahm vorsichtig einen Schluck Wein. Diesmal schmeckte er sogar. «Doch es bleiben zwei Probleme», sagte er selbstbewusst. «Erstens. Wir konnten nachweisen, dass der Helm vergiftet war, jedoch nicht, dass von Braggen darin verwickelt ist.»

«Das stimmt. Damit müssen wir leben. Wir sind jetzt gewarnt. Und «Silberschwan» ist weiter im Besitz der Familie vom Mark. Auch das ist ein Erfolg! Und zweitens?»

«Wenn ich dich richtig verstehe, war meine Tat ein Diebstahl. Denn zu diesem Zeitpunkt gehörte der Helm noch Rod von Braggen. Was sagt der Herold dazu? Werde ich bestraft?»

Sheen nahm einen neuen Schluck Wein und lachte. «Ich sehe, dass ich einen guten Schüler ausgebildet habe. Da er ihn unrechtmäßig erhielt, war er eigentlich nicht in seinem Besitz. Andererseits fehlte uns der letzte Beleg, dass der Topfhelm vergiftet war. Daher haben wir streng genommen einen Diebstahl geplant. Wir hätten den Herold informieren müssen. Ein juristisches Problem bleibt es. Aber ich konnte Baron Weienfels überzeugen, dass wir nur den Anschlag beweisen wollten. Und keinesfalls den Helm stehlen. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir im Interesse des Turniers und aller Beteiligten keinen weiteren Staub aufwirbeln wollen. Auch wenn es bedeutet, dass von Braggen heil aus der Sache rauskommt.»

«Da ist ein anderes Problem», meinte der Knappe kleinlaut. «Ich habe den Topfhelm beschädigt. Der Schwan ist abgebrochen!»

Wersh lachte. «Da mach dir mal keine Sorgen. Es gab noch nie ein Turnier, bei dem eine Rüstung oder eine Waffe ohne Beschädigung aus dem Kampf gekommen ist.»

Bertram setzte zu einer Antwort an, doch er hörte im Hintergrund Weyn vom Mark stöhnen. «Er wacht auf», rief er und lief zu dem Ritter.

Sheen und Wersh schauten ihm nach. «Ein tapferer Junge», sagte der Verwalter. «Ich hoffe, dass unser Herr den Mut, den er heute bewiesen hat, zu würdigen weiß.»

Der Novize nickte nachdenklich. «Wir werden seinen Mut brauchen. Rod von Braggen wird diese Niederlage nicht auf sich sitzenlassen.»

***






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