Das letzte Kapitel...

Da ist es wieder! Der letzte Teil einer Kurzgeschichte aus der Welt von "Eisen und Magie". Sie beantwortet die Frage, ob sich der Dieb wirklich verzählte. Oder ob der Autor mal wieder am Spannungsbogen gedreht hat, um die Leser bei der Stange zu halten.

Wir lernen "vier" muss nicht immer "vier" sein. Es hängt auch davon ab, aus welcher Sicht man auf sie schaut!

Genug der Rätsel! Viel Spaß mit der letzten Episode von "Eisen und Magie: Der Dieb, der sich verzählte".


Eisen und Magie:

Der Dieb, der sich verzählte


von Peter H. Brendt 
Khen atmete tief durch. Glück gehabt. Unbewusst berührte er die Münze, die an dem Lederriemen um den Hals hing. Wieder einmal hatte der Glücksbringer ihm das Leben gerettet.

Wie zum Hohn entdeckte er direkt neben dem Eingang eine kleine Platte. In unzerstörbarem Gold prangte dort das Wort für Feuertod in der gleichen Sprache, in der die Schatzkarte geschrieben war. Ein kurzer Druck genügte und das Brausen des Feuers in seinem Rücken verstummte.

Zufrieden schaute er zurück. Der Rückweg dürfte ohne Probleme verlaufen. Der Gang mit den Feuerstrahlen stellte kein Hindernis mehr dar. Die hungrigen Ameisen verbannte das in die Mauer gelenkte Lava in ihre Verstecke. Genauso wie der Vorrat an heißem Magma hinter ihm nie erlosch, fütterte er die Rille in der Wand dahinter und erhitzte den Fels für ewige Zeiten.

Blieb noch der riskante Rückweg den Berg hinunter. Doch zu Khens Erfahrungen gehörte es, dass die Strecke zurück immer leichter und schneller ablief als der Hinweg. Er hatte ihn bereits einmal geschafft und würde es wieder schaffen.

Allerdings kündigte die Schatzkarte vier Gefahren oder Fallen an. Drei davon lagen hinter ihm. Wo konnte sich in dem nach oben offen ehemaligen Krater der letzte Hinterhalt verbergen.

Der Weg zu der mit Juwelen besetzten Statue führte über einen Boden aus feinem Sand. Ihn hatte wohl seit hunderten von Jahren kein Mensch mehr betreten. Die Zeit nutzte ein uralter Feigenbaum, dessen dickes Wurzelgeflecht ihn wie schwarze Adern durchzogen. Die Linien der alten Wurzeln lenkten das Auge zu einer Säule aus Vulkangestein, auf der das begehrte Stück wartete. Es fiel genug Licht durch den nach oben offenen Schacht, um das Gold leuchten zu lassen.

Khen warf einen Blick zum Rand des Kraters. Bevor er die Schatzkarte erhielt, hatte er ihn von außen erstiegen und überprüft, ob es von da einen Weg ins Innere gäbe. Doch das Gestein dort wirkte brüchig, so dass bereits die bloße Inspizierung des Kraterrands Lebensgefahr bedeutete. Und es existierte kein Seil auf der Welt, dass lang genug war, um den Abstieg zu ermöglichen. Deshalb wartete die Skulptur des Mondgottes seit uralten Zeiten auf einen neuen Besitzer.

Aber noch gehörte sie nicht ihm. Irgendwo wartete die vierte und letzte Falle auf ihn. Wieder einmal versuchte er, sich den Weg einer Prozession zur Statue vorzustellen. Den Zug von Gläubigen, die nun kurz vor dem Ziel ihrer Pilgerschaft standen.

Wie er beim Eintritt in die Kraterkuppel für einen Moment verharrte. Beeindruckt von der Größe und Höhe des Heiligtums. Unsicher, ob sie würdig waren, vor das Angesicht des Gottes zu treten. Dann vertrauten sie der Führung der Priester, die sie würdevoll über die letzten Schritte leiteten. Ob es damals diesen Feigenbaum mit den dicken Wurzeln schon gab? Oder wuchs er erst, nachdem sie den Tempel verließen. War der Stamm des Baums der Zeit zum Opfer gefallen, während das Wurzelgeflecht im Sand überdauerte?

Seine Vorstellungskraft zeigte ihm den Prozessionszug. Die Priester voran, ihnen folgte der Strom von Gläubigen. Gemäßen Schrittes. Würdevoll. Die Augen auf die Gottheit gerichtet. Oder durfte vielleicht niemand so nah herankommen. War es nur erlaubt, sie aus der Ferne anzubeten?

Dafür schien sie ihm zu klein. Da hatte er schon größere Exemplare in anderen Tempeln gesehen. Aber die engen Gänge machten den Transport einer solchen Statue unmöglich. Zum Ausgleich gürteten sie sie mit den wertvollsten Juwelen, die die Welt je sah.

Er entschied, dass die Pilger ein so kostbares Stück aus der Nähe bewundern durften. Das bedeutete, die Priester führten sie bis zum Standbild, um ihnen die unschätzbaren Steine zu zeigen.

Noch einmal stellte er sich den Zug vor. Vielleicht erklangen Gongs, dazu der Geruch von Weihrauch in der Luft. Die Atmosphäre von tiefer Gläubigkeit und Ergriffenheit, das leises Summen eines Lieds, das Murmeln inbrünstiger Gebete.

Das bewies, dass der Feigenbaum erst nach dem Verlassen gewachsen war. Seine dicken Wurzeln verhinderten würdevolles Schreiten. Der Zug hätte zu ihrem Ziel stolpern müssen. Sie konnten kein Auge auf die ersehnte Gottheit werfen, wollten sie nicht Gefahr laufen, über das halb im Sand versteckte Wurzelwerk zu stürzen.

Aber wo bei den Göttern steckte die gesuchte Falle. Sie musste sich nah bei der Statue befinden. Als letztes Hindernis für einen verwegenen Dieb, der unter den Pilgern verborgen, es bis zu diesem Punkt geschafft hatte.

Dennoch traute er dem Sandboden nicht. Zu glatt, zu harmlos. Zu verlockend!

Ob er auf den Wurzeln balancierend bis zu dem kleinen Altar kam? Sie wirkten solide genug dafür und reichten bis nah an das Ziel. Da war Khen schon über schmalere Stege gelaufen. Da machte ihm niemand etwas vor!

Aber zunächst wollte der Dieb herausfinden, wo die Priester die letzte Falle verbargen. Unwillkürlich rieb er an dem Glücksbringer, der an seinem Hals hing. Das Gewicht der Münze brachte ihn auf eine Idee. Es gab einen Weg, dies herauszufinden.

Langsam nahm Khen den Lederriemen ab. Diesmal brauchte den Schmuck nicht als spirituellen Beistand. Heute erhielten Riemen und das Geldstück eine praktische Aufgabe.

Der Dieb wirbelte das Leder über den Kopf, wie eine Wurfschlinge. Schneller und schneller. Die schwere Münze gab der Schlinge die nötige Wucht und Geschwindigkeit. Er zielte auf die Statue, er besaß nur einen Versuch. Im richtigen Augenblick entließ er den Lederriemen und verfolgte den Flug mit den Augen.

Ein Treffer!

Sein improvisiertes Geschoss wickelte sich um die Skulptur. Im gleichen Moment schoss ein Netz scharfer Messer aus dem kleinen Podest. Es dauerte kürzer als ein Augenblinzeln, dann fiel das Leder in winzige Stücke zerschnitten herab. Doch der Mechanismus zerstörte nicht alleine den Riemen. Wenig später folgte die Münze auf dem Weg zum Boden. Das schwere Geldstück bestand nur noch aus Metallsplittern.

Khen beglückwünschte sich zu dem Plan. Da wartete die die vierte Falle.

Es gab mit Gewissheit einen Weg, sie auszuschalten. Er war bis an diesen Ort gekommen. Seine Klugheit und Geschicklichkeit führte ihn zu dem kostbarsten Schatz, den die Welt kannte. So wie er alle Hindernisse auf dem Weg beseitigen konnte, fiel ihm bestimmt etwas ein. Doch dazu musste er näher herangehen.

Auf dem Weg zur Statue bedauerte er den Verlust des Glücksbringers. Aber er wusste die Adresse des Händlers. Vermutlich besaß er noch ein solches Exemplar. Geld spielte bald keine Rolle mehr.

Plötzlich riss ihm eine ungeheure Gewalt die Beine weg, so dass er auf den Sand stürzte. Eine der Wurzeln hatte seine Füße umwickelt, eine zweite tauchte aus dem Boden auf. Wie ein schwarzer Tentakel zielte sie auf den Hals des Meisterdiebs. Khen fasste nach oben, um die Schlinge aufzuhalten, doch obwohl er beide Hände einsetzte, kam er kaum gegen die Kraft des unbekannten Gegners an.

Führten ihn die Angaben auf der Schatzkarte in die Irre? Dort stand die Zahl Vier. Vier Fallen oder Hinterhalte warteten auf den, der die Statue aus dem Tempel stehlen wollte.

Khen schaffte es, die Spitze der Wurzel ein kleines Stück von seinem Hals wegzudrücken. Endlich bekam er wieder etwas mehr Luft. Hoffnung keimte auf.

Das Netz tödlicher Messer zählte er als vierte Bedrohung, während er den Angreifer einen Fingerbreit zurückdrückte. Die Zahl Drei für den Feuergang. Zwei stand für die aggressiven Ameisen. Und an Nummer Eins setzte er den gefährlichen Aufstieg über die von Regen und Unwettern zerstörten Pfade hinauf zum verborgenen Eingang in den Vulkan.

Woher kam die fünfte Bedrohung. Tödliches Wurzelwerk, das seit der Aufgabe des Tempels auf ein Opfer wartete. Warum fehlte sie in der Aufzählung am Rand der Karte, die ihn bis hierher führte.

Dann erkannte Khen seinen Fehler. Es gab nur vier Fallen. Der Aufstieg zum Heiligtum fiel den Pilgern und Priester damals bestimmt schwer. Viele Meter Berg mussten überwunden werden. Doch für einen vom Glauben beseelten Menschen stellten sie keine tödliche Gefahr dar. Zum Risiko wurde die Straße erst nach dem Verlassen des Tempels, nachdem Zeit und Natur sich ihren Anteil zurückeroberten.

Alle Fallen befanden sich im Inneren des Berges. Khens Interpretation der Schatzkarte führte ihn direkt in die Reichweite der Wurzeln, die ihn jetzt in den Sand ziehen wollten. Irgendetwas lauerte dort unten. Hungrig und ohne jede Spur von Gnade.

Der Dieb, der sich verzählte, nutzte die letzte Chance. Mit einer Hand drückte er die Tentakel an seinem Hals noch ein kleines Stück zurück. Mit der anderen suchte Khen nach dem Messer im Gürtel. Die Wurzel fühlte sich zäh, aber weich genug an, um sie mit der Klinge zu zerschneiden. Welche Art Blut wohl aus der Wunde spritzen würde?

Die Finger ertasteten bereits den Griff, als ein dritter Fangarm aus dem Boden auftauchte und sich um seinen Hals legte. Unerbittlich zogen ihn die Tentakel unter den Sand. Kleine Wellen auf der Oberfläche zeugten von Gegenwehr des Diebs. Aber nur kurz, dann lag die Sandfläche so still und trügerisch wie zuvor.

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