Der Dieb, der sich verzählte...


geht in die nächste Runde. In der Geschichte aus der Welt von "Eisen und Magie" versucht Khen den Schatz der Schätze zu finden. Trotz der vier tödlichen Fallen, die die Erbauer der Tempelanlage gegen unerwünschte Eindringlinge errichteten. Nach dem Abenteuer mit den angriffslustigen Ameisen, wartet nun einen neue Herausforderung auf ihn.

Viel Spaß mit der neusten Episode aue "Eisen und Magie: Der Dieb, der sich verzählte"!


Eisen und Magie.

Der Dieb, der sich verzählte


von Peter H. Brendt 
Die Gerüchte um den Schatz und die Gefahren, die im verborgenen Tempel lauerten, erwiesen sich wieder einmal als wahr.

Auf dem Rand der Karte standen die Zeichen für Feuer und Gang. Man konnte Letzteres auch anders betonen. Dann bedeutete es Tunnel. Und genau der lag jetzt vor ihm.

Die Halbreliefs an den Wänden schilderten eine lange Prozession. An ihrem Ende brachten die Gläubigen und Priester ihrem Gott Opfer. Reste von Farbpigmenten bewiesen, dass ihre Schöpfer sie einst mit viel Sorgfalt und Liebe zum Detail bemalten. Doch die Jahrhunderte kratzten die Farbe herab und ebneten die Kanten der Figuren ein. Nach hunderten von Jahren erkannte nur ein geübtes Auge, wie kostbar und prunkvoll die Erbauer diesen Weg schmückten.

Den wertvollen Marmorfliesen auf dem Boden gelang es jedoch, der Zeit zu trotzen. Noch immer versuchte ihre schillernde Marmorierung, die Blicke des Betrachters zu fangen und ihn in ihre eigene Welt zu entführen.

Am Ende des Gangs lockte Sonnenlicht. Und es gab laut der Karte nur einen Ort, in den die Sonne scheinen konnte. Ihre Strahlen fielen durch den Krater des erloschenen Vulkans und bildeten heute die einzige Lichtquelle. Morgens beleuchtete sie die Priester beim Gebet, mit dem sie die Götter-Statue wuschen und neu einkleideten.

Dann zogen sie sich zurück und besuchten den Ort erst wieder am folgenden Tag. Einführungsrituale für Novizen und jährliche Feiertage boten auch für die anderen Gläubigen eine Gelegenheit, den erloschenen Krater zu betreten. Sonst hätte es vermutlich niemals Aufzeichnungen, sondern nur Gerüchte über das goldene Standbild gegeben, das jetzt auf Khen wartete.

Nach den Mühen des Aufstiegs und der Bedrohung durch die Ameisen lockte der Tunnel und versprach einen leichten Weg. Zu leicht. Keine Frage, die scheinbare Harmlosigkeit sollte den Unvorsichtigen in eine Falle locken. Doch wo konnte die Gefahr lauern.

Er warf einen prüfenden Blick auf die Marmorplatten am Boden. Die mäandernden Linien der Marmorierung verwirrten den Geist, aber mehr als eine Ablenkung stellten sie nicht dar.

Die Decke bestand aus gewachsenem Fels. Aus dem Gestein gehauen und anschließend so bearbeitet, dass eine glatte Fläche entstand. So sehr er sich auch bemühte, er konnte nirgends ein Loch oder eine Spalte erkennen.

Blieben noch die bemalten Wände.

Obwohl die Zeit die Farbe abschliff, war es für die Erbauer kein Problem in den Kanten und Umrissen der Figuren und Wesen eine Falle verbergen. Aber wo? Und wie löste ein Eindringling sie aus?

Noch einmal untersuchte er von seinem Standpunkt aus die Bodenplatten mit scharfen Augen. Wie leicht konnte sich eine Falltür darunter befinden. Und gab es Zeichen und Hinweise für die Priester, die Platten zu meiden, wo der Tod lauerte. Und wie führten sie die Gläubigen bei den regelmäßigen Riten an den gefährlichen Wegpunkten vorbei.

Ihm fiel eine Bodenplatte auf, die ein winziges Stück höher ragte, als die übrigen. Kaum erkennbar, besonders im Fackellicht, aber Khen konnte es auf keinen Fall riskieren, den Hinweis unbeachtet zu lassen.

Er huschte kurz in die Kammer hinter ihm, beachtete die toten Körper der Ameisen nicht und raffte ein paar kleine Steinbrocken auf. Dann warf er die Steine auf die verdächtige Marmorplatte.

Ein heißer Strom Luft schoss durch den Tunnel, als aus einem geschickt verborgenen Loch in der Wand ein Feuerstrahl zündete. Hoher Druck sorgte dafür, dass die Flamme den Gang bis zur gegenüberliegenden Seite komplett ausfüllte. Kein Zweifel, dass jeder unvorsichtige Mensch, der in das Feuer geriet, einen qualvollen Feuertod erlitt. Die Hitze drang selbst bis zu seinem Standort am Eingang. Der glühende Strahl hielt beinahe einen Atemzug lang, dann erlosch er.

Khen wollte erleichtert aufatmen. Er glaubte, das Prinzip der Falle durchschaut zu haben. Er brauchte nur die Stellen im Boden vermeiden, die sie auslösten.

Doch er sah sich getäuscht.

An einem weiteren Abschnitt des Tunnels entstanden zwei frische Feuerstrahlen, die mit brausendem Gebrüll den Gang erfassten. Und wieder verschwanden sie nach kurzer Zeit, um an einer neuen Stelle erneut zu erscheinen. Ihre Anzahl wechselte in regelmäßigen Abständen, jedoch sprühten stets mindestens vier von ihnen den tödlichen Strahl in die schmale Röhre, die zum Allerheiligen führte. Dann wusste Khen, was geschehen war. Die Steine setzten eine Maschinerie in Bewegung, die jedes Weiterkommen für den Moment unmöglich machte.

Es gab daher zwar immer eine Lücke, an der man vor den Flammen sicher stehen konnte. Aber auf die Schnelle erkannte er keine bestimmte Taktfolge, in der so geschützte Stellen Schutz versprachen.

Der Dieb ballte die Fäuste. Es wäre zu einfach gewesen.

Er fluchte laut und verwünschte die Erbauer des Tempels. Nun gab es mehr als nur sechs Varianten, sondern ein Mehrfaches an Optionen, wie ein Unvorsichtiger zwischen die Feuer geraten konnte. Gegen seine Hoffnung hatte er statt einer einzigen Flamme, eine ganze Flammenkette ausgelöst, die jetzt den Weg in die Schatzkammer versperrte.

Aber dann grinste Khen verschmitzt. Es gab keinen Grund zu verzweifeln. Er wusste nicht, wie groß die Menge an Öl oder brennenden Substanzen auf den beiden Seiten des Tunnels war. Doch so einen riesigen Kessel, dass er die Feuer über einen längeren Zeitraum nähren konnte, gab es nirgends auf der Welt.

Er brauchte nur zu warten, bis die Vorräte erloschen, danach war der Weg zum Schatz frei. Möglich, dass es ein paar Stunden dauerte, er besaß jedoch einen stattlichen Beutel gefüllt mit Nüssen und Wurzeln. Das sollte für einige Zeit reichen!

***

Einen Tag und zwei Nächte später kauerte Khen immer noch in dem Durchgang, ohne dass die Flammen kleiner geworden wären! Pausenlos füllten neue Feuer den Tunnel. Möglich, dass es irgendwo einen Schalter gab, der den Feuerspuk beendete, falls jemand die Feuerfalle aus Versehen auslöste. Doch er vermutete, dass sie sich unerreichbar für ihn am Schluss des Gangs beim Altar befand.

Langsam dämmerte dem Dieb, dass er vergeblich darauf hoffte, dass der Vorrat an Öl, der die Flammen nährte, irgendwann zu Ende ging. Das Feuer roch nach Schwefel und uraltem Gestein, wurde also entgegen seiner ersten Vermutung nicht aus Kesseln mit brennbarer Flüssigkeit genährt.

Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Er war ein Dummkopf gewesen! Der Tempel lag im Inneren eines erloschenen Vulkans. Aber es gab bestimmt noch Röhren oder Spalten, die tief in den alten Teil des Feuerbergs reichten, wo es Mengen an glühender Lava gab. Diese Quellen speisten die Feuerfalle. Bis der unendlich große Vorrat an Magma zur Neige ging, dauerte es viele Menschengenerationen.

Khen ballte die Fäuste in stiller Wut. Durch seine Fehlentscheidung verlor er kostbare Zeit. Die Reserven an Nahrung und Wasser genügten nur für wenige Tage und zwangen ihn einen anderen Weg zu finden, um an den Feuern vorbei zu kommen. So unmöglich es auch auf dem ersten Blick erschien, er musste herausbekommen, in welcher Reihenfolge die Flammen ausgelöst wurden.

Er mahnte sich zur Ruhe, suchte einen bequemen Platz und versuchte Regeln in dem Rhythmus zu erkennen, in dem die Feuerstrahlen aus der Wand traten.

***

Zwei Tage danach musterte der Dieb sorgsam die Aufzeichnungen, die er erstellt hatte. Es gab keine Zweifel, dass seine Vermutung stimmte. Der Mechanismus spuckte mehrere Dutzend Mal in einem bestimmten Rhythmus Feuer in den Gang. Dann wechselte er in eine neue Folge, hielt sie wieder über längere Zeit bei, um anschließend erneut eine frische Taktfolge zu beginnen. An ihrem Ende kehrte er zu dem zweiten Taktmaß zurück, startete nach ihrem Abschluss die dritte Variante, um im Anschluss zum allerersten Ablauf zurückzukehren. Begann wiederum mit Takt Nummer drei, wiederholte sie einmal, danach zweimal die zweite Form, um an ihrem Schluss die bisherige Abfolge zu wiederholen.

Jedes Mal gab es ein oder zwei Momente, in denen man, sprang ei Mutiger im richtigen Rhythmus in die entsprechenden Lücken, passieren konnte, ohne ein Opfer der Flammen zu werden.

So weit, so gut.

Aber es gab eine Variante, die alle seine Berechnungen über den Haufen warf. In bestimmten Abständen, ihre Gesetzmäßigkeit erschloss sich ihm auch nach zwei Tagen und Nächten nicht, schossen aus sämtlichen Wandlöchern gleichzeitig Feuer, die den Gang rasch mit einer unerträglichen Hitze ausfüllten. Selbst wenn er im passenden Rhythmus zwischen den Löchern in der Wand hin- und her sprang, konnte es geschehen, dass er genau den Moment erwischte. Dann blieben nur Asche und verkohlte Knochen von ihm übrig.

Noch einmal studierte Khen sorgfältig seine Aufzeichnungen. Doch er fand keine Lösung. Möglich, dass die unbekannte Maschine gezwungen war, auf die Weise eine Art von Überdruck zu kompensieren. Der stete Strom von Lava, der die Flammen auslöste, floss vielleicht bisweilen zu heftig und drohte ohne diesen Mechanismus, die Falle zu zerstören.

Insgeheim bewunderte er die längst vergangenen Priester, die so etwas Wunderbares, wenn auch Tödliches erbauten. Wie groß ihr Geschick war, bewies die Tatsache, dass ihre Schöpfung selbst nach Jahrhunderten noch funktionierte.

Doch Khen schob den Gedanken beiseite. Die Zeit drängte. Mit ein wenig Glück war dahinter der Weg frei zu dem Schatz, den der Tempel so lange verbarg. Und einen Hebel oder Schalter, der die Flammen zum Erlöschen brachte, wartete bestimmt auch am Ende des Tunnels.

Noch einmal studierte der Dieb seine Aufzeichnungen und fand die Stelle, an der sich der Rhythmus der Feuerstrahlen gerade befand. Dann nahm er allen Mut zusammen und lief los, als unmittelbar vor ihm keine Feuer mehr aus der Wand brachen.

Vorwärts, vorwärts, zurück, vorwärts, vorwärts.

Zurück, vorwärts, zurück, vorwärts,

Vorwärts. Zurück, vorwärts, vorwärts.

Das Ganze noch einmal.

Zurück.

Vorwärts.

Vorwärts.

Mit einem wilden Schrei sprang Khen aus dem Tunnel. Keinen Moment zu früh, denn plötzlich füllten, wie befürchtet, Flammen aus allen Löchern den Gang. Die Hitze verbrannte ihm die Augenbrauen, als er unvorsichtig zurückschaute. Dann setzte die übliche Abfolge der Feuerstrahlen wieder ein.

Er atmete tief aus. Da waren ihm die Götter gnädig gewesen. Müde schüttelte er den Beutel mit Wasser, aber ihn begrüßte kein fröhliches Gluckern mehr. Den letzten Schluck hatte Khen bereits vor Stunden getrunken.

Doch nun stand er unmittelbar vor dem Ziel. Bald gehörte der Schatz ihm und sein Ruhm würde in Tausenden von Liedern besungen werden.

***







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