Neues aus Thumberg: Der Ghoulkönig auf dunklen Pfaden

Nach der Befreiung Master Leyms aus dem Gefängnis geschieht das, was bei neuen Männerfreundschaften häufig passiert:

Man genehmigt sich ein paar Drinks und schmiedet Pläne. Die führen aber bald in dunkle Welten. Meilen entfernt von den Vorschriften eines einfachen Beamten in Thumberg.

Das letzte Kapitel verpasst? Ihr findet es hier.



Die Luft vibrierte von dem Geräusch lachender und zechender Gäste. Im "Roten Pony" vermischten sich die Gerüche nach verschüttentem Wein, scharfem Essen der stadtbekannten Küche und den Körperausdünstungen der Männer und Frauen. Dazu der süße Rauch der Zergenkrauts, das in Thumberg immer mehr in Mode kam. Die Schwaden aus den Pfeifen der Raucher zogen wie kleine Nebelfelder durch den Gastraum und lösten sich nur schwer auf. Jetzt stimmte eine bunte Gruppe Matrosen ein bekanntes Trinklied an, scheiterte aber bereits nach einer Strophe kläglich.

Wie gewohnt schaute der Vertraute des Wirts nach dem Rechten. Mochtgehrn versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern. Den Gerüchten nach hatte er seine Finger in vielen Dingen, die im Hafenviertel liefen, doch selbst die Stadtwache schien dem Kerl nichts anhaben zu können. Oder zu wollen. Das war in dieser Stadt nicht jedes Mal eindeutig.

Litwolff.

So hieß er. Mochtgehrn erinnerte sich wieder. Die Geschichten, die man von ihm erzählte, standen im krassen Gegensatz zu der Liebe und Freundlichkeit, mit dem sich der Mann über ein kleines Mädchen an einem Nebentisch beugte. Ohne Zweifel half er bei den Hausaufgaben.

Das Treiben im "Roten Pony" wirkte wie Labsal auf der Seele des überforderten Beamten. Das Geschehen im Gefängnis hatte sein Selbstverständnis, das er während seiner Ausbildung zum Beauftragten des Stadtrats von Thumberg erworben hatte, wie weggeblasen.

Mochtgehrn war Master Leym dankbar. Nicht nur für die Rettung vor der Rachsucht Sams des Einäugigen. Sondern auch, dass er ihm die Zeit gab, es zu verarbeiten. Nach einem letzten Seufzer trank er seinen Wein aus und winkte der Kellnerin. Noch einen, dann musste er sich um seine Pflichten kümmern. Doch zuvor brauchte er den Rat seines neuen Freundes. "Verratet mir, wie ein vornehmer Mann, vertraut mit eher außergewöhnlichen Aufgaben, in ein solches Loch kommt. Was habt Ihr getan, dass man euch dies antut."

Master Leym betrachtete traurig seinen ramponierten Seidenanzug. "Ihr kennt Theo Dicklake?"

Irgendwo in Pan Mochtgehrns Kopf öffnete sich eine Tür. Wenn auch nur für einen Spalt. "Theo Dickbacke, meint ihr!" So hieß der Kerl mit dem illegalen Lagerhaus am Friedhof.

"Das ist sein Spitzname. Ein wohlverdienter, wie ich sagen muss."

"Hab von ihm gehört."

"Er hat mich in seinem Haus erwischt. Im Schlafzimmer."

"Oh, bei seiner Ehefrau?"

"Nein, bei seinem ältesten Sohn!"

Pan zog langsam die Luft ein. Kein Wunder, dass Theo Dicklake oder Dickbacke alles tat, um Master Leym verschwinden zu lassen. Nicht, dass die Orientierung seines Sprösslings in Thumberg ein Problem bedeutete. Aber die einzige Tochter des Kerls vernaschte den Gerüchten nach jeden stinkenden Matrosen im Hafenviertel. Frei und ohne Rücksicht auf die Familie ihres Vaters. Sie mochte den Salz- und Teergeruch auf ihrer Haut, hieß es. Ein Angebot, das die ausgehungerten Seeleute nur zu gerne annahmen.

Es durfte nicht bekanntwerden, dass sein ältester Sohn zudem ein Verhältnis mit einem niederen Beamten hatte. Und ihn in seinem eigenen Haus zum Schäferstündchen empfing. Ohne sein Wissen und Einverständnis. Das ruinierte sein Ruf endgültig. Und wo er doch im Rat am lautesten über Männer spottete, die andere Männer liebten. Das Gelächter der Stadt würde dem ehrgeizigen Theo überallhin verfolgen. Vorbei war es dann mit einer Karriere in Thumberg. Mochtgehrn überlegte, wie viel Dickbacke bezahlte, um sich der Dienste des Gefängnisbeamten zu versichern, damit Master Leym in der Strohhalle verschwand.

Die Kellnerin unterbrach seine Gedanken und stellte neuen Wein hin. Es war an der Zeit, den Grund dieses Treffens anzusprechen.

"Ich brauche Eure Hilfe in einer schwierigen Angelegenheit. De Koffel gab mir den Rat, Euch zu suchen. Wir haben auf dem Friedhof an der Südmauer ein Problem mit Ghoulen. Er meinte, Ihr wüsstet Rat."

"Ghoule. Ich habe davon gehört. Aber ich weiß auch nicht, warum sie plötzlich bis in die Stadt vordringen. In meinem Amt hatte ich noch nie mit Leichenfressern zu tun."

"Überlegt! Kennt Ihr jemand, der sich mit diesen Widerlingen auskennt?"

Master Leym zupfte seinen ramponierten Seidenanzug zurecht. Nachdenklich nahm er einen Schluck von dem Wein. "Ich bin Euch zu Dank verpflichtet. Wenn auch ein Teil abgegolten sein sollte. Doch Sam war schon lange fällig. Deshalb will ich ihn Euch nicht in Rechnung stellen.

Lasst mich überlegen. Wer kennt sich am besten mit Ghoulen in Thumberg aus?"

Einmal mehr trank er aus seinem Weinbecher. Dann gab er selbst die Antwort: "Niemand. Mit diesen Mistviechern will keiner was zu tun haben."

Er legte die Finger zusammen und ließ die Knöchel knacken. Bei dem Geräusch fühlte Mochtgehrn seine Rückenhaare, die sich wie eine Haarbürste aufstellten. Wieder verließ ihn der Mut. Master Leym war seine letzte Hoffnung.

Doch der gab sich nicht geschlagen. "Früher kannte man Ghouljäger. Aber die sind schon vor langer Zeit ausgestorben. Ein vergessener Beruf. Es existiert eine Vereinbarung mit den bleichen Leichenfressern, die ihre Aktivitäten auf den Friedhof begrenzte. Aus diesem Grund hat sie niemand vermisst."

Mochtgehrn ließ enttäuscht die Schultern fallen. Kein Zweifel, sie befanden sich in einer Sackgasse. Wer wusste heute noch die Einzelheiten des alten Vertrags mit den Ghoulen. Wo fand er im Chaos der Archive von Thumberg ein entsprechendes Schriftstück. So eine Geschichte unterlag der schärfsten Geheimhaltung.

Denn eine Übereinkunft zwischen diesen Ungeheuern und Ratsmitgliedern durfte niemals an die Öffentlichkeit kommen. Schriftliche Absprachen mit Menschenfressern aus der Hölle. Anerkennung von Territorialansprüchen. Bleiberechte für ein ganzes Volk von bleichen Monstern. Einen solchen Skandal konnte kein Politiker überleben, selbst wenn die Absicht, die dahinter steckte, den Interessen der Stadt diente.

Der Leiter des Archivs würde glatt leugnen, dass es so ein Papier gab.

„Wie alt ist dieser Vertrag und woher wisst Ihr davon“, wollte Mochtgehrn wissen.

„Ich kenne ihn nur aus der Übergabe der Schriften bei meinem Amtsantritt. Mehr als eine Überschrift stand nicht in dem Buch. Ghoule sind ein Volk aus der Liste von „Viel und weit Weg Fremden“. Sowie Vampire, Werwölfe, Schwarzelfen und Rattenmenschen.“

„Schwarzelfen und Rattenmenschen? Nie gehört!“

Master Leym verzog ein wenig das Gesicht. „Ist auch besser so. Mein Amt resultiert aus der Erkenntnis, dass man mit dem, was man nicht endgültig besiegen kann, gewisse Arrangements trifft. Zum Wohle der Stadt Thumberg!“

„Und zum Wohle seiner Ratsmitglieder“, fügte Mochtgehrn in Gedanken hinzu.

„Weiß sonst jemand von dem Vertrag“, wollte er wissen. „Oder besser noch, gibt es einen Beamten, die bei der Unterzeichnung dabei war!“

„Titel und Schreibstil nach ist die Vereinbarung mehr als zweihundert Jahre alt. Selbst der Ghoulkönig von damals ist tot!“

„Wir wissen ja nicht einmal, was drin steht. Vielleicht brechen die Ghoule ja die ausgehandelten Bedingungen.“ Mochtgehrn leerte mit einem tiefen Schluck seinen Weinbecher und bestellte sofort eine neue Runde. Sie befanden sich in einer Sackgasse. „Ghoulkönig“, schimpfte er. „Wusste gar nicht, dass die so etwas haben.“

Dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz. „Wir könnten ihn ja fragen.“

Master Leym prostete ihm zu. „Einen Termin beim amtierenden König der Leichenfresser zu bekommen, dürfte nur als Hauptgang bei einem festlichen Dinner möglich sein.“

Er hob den Becher an seine Lippen, hielt aber plötzlich inne.

„Wir sollten seinen Vorgänger befragen. Ist zwar nicht ungefährlich, doch machbar.“

„Das geht? Wo wohnt er? Wie kann man ihn erreichen?“

„Er ist tot. Sein Nachfolger hat ihn aufgefressen. Wie das bei den bleichen Kerlen üblich ist.“

Mochtgehrn wollte zornig aufbrausen, bestellte aber lieber eine weitere Runde Wein für beide. „Habe ich verstanden. Es gibt jedoch eine Möglichkeit ihn zu befragen, falls ich Euch richtig verstehe.“

Master Leym beugte sich nah zu ihm hinüber, so dass kein anderer Gast sie hören konnte. „Seid ihr mit den Regeln der Totenbeschwörung vertraut?“

„Bei den Göttern. Ich gehöre zur Beamtenschaft des Rats. Wie Ihr auch, wenn ich das bemerken darf! Wie kommt ihr darauf, so dunkle Praktiken zu erwähnen?“

„Dunkel sind sie nur für den, der sie nicht beherrscht.“

„Seid still! Ich will kein Wort davon hören!“

Master Leym lehnte sich zurück und grinste selbstgefällig. „Ihr kennt eine Alternative?“

„Ihr wisst genau, dass ich keine habe!“

„Gebt mir was zu schreiben!“

***


Ihr verfolgt die Episoden auf Thumberg gerne und regelmäßig? Da hätte ich einen Vorschlag: Litwolff, die rechte Hand des Wirts im "Roten Pony" ist der Held des folgenden Buches:



Hier findet Ihr die erste Kurzgeschichte aus der Welt Thumbergs.

Viel Spaß!




Kommentare

  1. Ich wusste es doch... Rotes Pony, Beschützer des Wirtes.. Hausaufgaben mit der Tochter..
    Es geht ihm also gut, dem alten Wein-Wiederbeschaffer..
    Oder geht es ihm noch gut ?

    Derweil geht es am Tisch der Beamten etwas seriöser zu..
    Es gab/gibt also ein Abkommen mit den Goulen.. das ist interessant.
    Ich mag mir nicht vorstellen, wie man sich damals getroffen hat, was alles nötig war, um dem Ghoulkönig diese Vereinbarung abzuringen und ich möchte auch nicht in der Haut desjenigen stecken, der zu den Ghoulen gehen soll, um sie an dieses Schriftstück zu erinnern.
    Fakt ist: Es war gut, dass der Herr Mochtgern den Herrn Leym aus dem Gefängnis befreit hat.
    Mit dem Wissen um den Vertrag ist er eindeutig einen grossen Schritt weiter gekommen. Der Rest ist nun reine Recherche..
    Nun hört sich das vermutlich harmloser an, als es tatsächlich ist.
    Warum sonst würden die beiden Männer über die Totenbeschwörung sprechen..
    Herr Mochtgern ist ja noch dagegen, aber Master Leym scheint sich seiner Sache sehr sicher zu sein.
    Wie lange wird sich unser Freund gegen den Gedanken noch wehren ?
    Es wäre eine phänomenale Abkürzung seiner Bermühungen..
    Wenn man dann noch das Schriftstück in die Hände bekäme, stünde einem Besuch bei dem Regenten der Leichenfresser so gut wie nichts mehr im Wege..
    Ich hab gut daran getan, mir dieses Kapitel bis nach Sylvester aufzubewahren.
    Das Jahr 2016 fängt nun sehr spannend an..

    ..und wo wir grad beim Thema sind..
    Ich wünsche allen Lesern und auch dem Herrn Autor

    ein frohes neues Jahr
    und nur das Allerbeste für die Zukunft..

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